Leitsatz
1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die durch das UntStFG geschaffenen gesetzlichen Regelungen zur sog. Mehrmütterorganschaft verfassungsgemäß sind. Sie verstoßen nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot.
2. Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen über das Ruhen von Verfahren kraft Gesetzes in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO begründen nach summarischer Prüfung keinen einfachgesetzlichen Vertrauensschutz, der einer rückwirkenden Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 3, § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1999 i.V.m. § 14 Abs. 2 KStG 1999 (jeweils i.d.F. des UntStFG) entgegenstünde.
Normenkette
Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, § 2 Abs. 2 Satz 3, § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1999 i.d.F. des UntStFG, § 14 Abs. 2 KStG 1999 i.d.F. des UntStFG, § 363 Abs. 2 Satz 2 und Satz 4, § 207 Abs. 1 AO
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung gewerbesteuerlicher Erträge und Verluste aus den Jahren 1991 bis 1998 nach den Grundsätzen der geänderten Rechtsprechung des BFH zur sog. Mehrmütterorganschaft (BFH, Urteile vom 9.6.1999, I R 43/97, BStBl II 2000, 695, und I R 37/98, BFH/NV 2000, 347).
Die Antragstellerin zu 1, eine AG (A-AG), war in den Streitjahren mit der Antragstellerin zu 2, ebenfalls eine AG (B-AG), jeweils zur Hälfte an der C-GmbH beteiligt. Um gegenüber der C-GmbH eine einheitliche Leitungsmacht auszuüben, gründeten die A-AG und die B-AG zum 1.1.1991 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Weitere Zwecke verfolgte dieser Zusammenschluss nicht.
Im Dezember 1990 schlossen die GbR und die C-GmbH mit Wirkung zum 1.1.1991 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, demzufolge die C-GmbH verpflichtet war, in ihrer Geschäftstätigkeit ausschließlich nach dem Willen der GbR zu handeln und die während der Vertragslaufzeit entstehenden jährlichen Gewinne an die GbR abzuführen. Die GbR ihrerseits verpflichtete sich, Verluste der C-GmbH auszugleichen.
In den Streitjahren 1991 bis 1995 erwirtschaftete die C-GmbH Verluste. Für diese Jahre unterließen die A-AG und die B-AG in ihren GewSt-Erklärungen die nach § 8 Nr. 8 GewStG vorgesehene Hinzurechnung von Verlustanteilen und legten, soweit die jeweiligen FÄ dem nicht folgten, gegen die Festsetzungen der GewSt-Messbeträge Einspruch ein.
Das FA erließ für die Jahre 1991 bis 1997 gegen die GbR Gewinnfeststellungsbescheide sowie GewSt-Messbescheide. Die daraufhin geführten Einspruchsverfahren ließ das FA im Hinblick auf die beim BFH anhängigen Verfahren I R 43/97 und I R 37/98 ruhen (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO).
Nach Bekanntwerden der BFH-Urteile in BStBl II 2000, 695 und in BFH/NV 2000, 347 beantragten die A-AG und die B-AG am 15.1.2001 unter Berufung auf die geänderte Rechtsprechung gemeinsam beim FA, die Einspruchsverfahren zu den gegen die GbR gerichteten GewSt-Messbescheiden 1991 bis 1997 fortzuführen. Sie beantragten, die ihnen nach der geänderten BFH-Rechtsprechung zuzurechnenden Gewerbeerträge der C-GmbH für die Jahre 1991 bis 1998 einheitlich und gesondert festzustellen.
Mit Schreiben vom 30.3.2001 lehnte das FA ein Tätigwerden unter Hinweis auf den zwischenzeitlich ergangenen BMF-Erlass vom 4.12.2000 (BStBl I 2000, 1571) ab; das Schreiben des FA enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Dem Erlass zufolge sollten die Grundsätze der geänderten Rechtsprechung im Hinblick auf eine gesetzliche Neuregelung bis auf weiteres nicht allgemein angewendet werden.
Die A-AG und die B-AG legten am 9.5.2001 beim FA Untätigkeitseinsprüche gem. § 347 Abs. 1 Satz 2 AO ein. Am 30.5.2001 erhoben sie Untätigkeitsklagen gem. § 46 FGO.
Nach Verabschiedung des UntStFG vom 20.12.2001, mit dem sowohl § 14 KStG 1999 als auch § 2 GewStG 1999 rückwirkend geändert worden sind, erließ das FA ablehnende Einspruchsentscheidungen. Dagegen erhoben die A-AG und die B-AG Klage und beantragten beim FA, die Vollziehung der Ablehnung auszusetzen und die begehrten Feststellungen vorläufig vorzunehmen. Das FA lehnte dies ab, das FG entsprach dem AdV-Begehren (EFG 2005, 1632).
Entscheidung
Die dagegen gerichtete Beschwerde des FA hatte Erfolg. Einzelnes dazu entnehmen Sie am besten den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
Der Beschluss des BFH wird, um es kurz zu machen, die Hoffnungen so mancher einschlägiger Verkehrskreise eintrüben. Denn diese Hoffnungen bauten darauf, dass sich die rückwirkende gesetzliche "Restitution" der ehemaligen Rechtsprechung des BFH zum Abzug von Gewerbefehlbeträgen bei einer sog. Mehrmütterorganschaft aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht würde halten lassen. Dem hat der BFH jedenfalls nach summarischer Prüfung im AdV-Verfahren widersprochen.
1. Kurz zum "Szenario":
Im Rahmen sog. Jointventures ist es üblich, dass sich Großunternehmen in sog. Mehrmütterorganschaften organisieren, um Haftungs- und Finanzierungsrisiken bei (oft internationalen) Großprojekten zu minimieren. Regelmäßig bedient man sich dazu einer (vorgeschalteten) GbR, die als reine Innengesellschaft dazu bestimmt ist, den gemeinsamen Willen ihrer Gesellschafter zu "bündeln" und...