An die in einem Grundlagenbescheid getroffenen Feststellungen ist das für den Erlass des Folgebescheids (z. B. ESt-Bescheid) zuständige Finanzamt gem. § 182 Abs. 1 AO gebunden. Dabei ist zwischen der zeitlichen und sachlichen Bindungswirkung zu unterscheiden.
Die Bindungswirkung gilt selbst dann, wenn der Grundlagenbescheid noch nicht unanfechtbar bzw. diesbezüglich ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Die Bindung setzt in zeitlicher Hinsicht somit bereits mit der Bekanntgabe des Grundlagenbescheids – also vor dessen formeller Bestandskraft – ein. Eine zeitliche Reihenfolge beim Erlass von Grundlagen- und Folgebescheiden ist allerdings nicht vorgegeben.
Nachholung des Feststellungsverfahrens
Die ESt-Veranlagung des A erfolgt mittels Schätzung, da er keine Steuererklärung abgegeben hat. Dabei werden ihm Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung als Alleineigentümer eines Mietshauses i. H. v. 5.000 EUR zugerechnet. Nach Bestandskraft des ESt-Bescheids stellt sich heraus, dass B zur Hälfte Miteigentümer des Hauses ist und beide zusammen nur einen Überschuss von 2.500 EUR erwirtschaftet haben. Der Fehler kann – soweit noch keine Feststellungsverjährung eingetreten ist – im Rahmen eines Feststellungsverfahrens für A und B nach § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO korrigiert werden. Dieses hat zwar nicht zeitlich, aber rechtlich Vorrang und muss deshalb nachgeholt werden, und zwar selbst dann, wenn der ESt-Bescheid eines oder beider Beteiligten schon bestandskräftig ist. Nach Durchführung des Feststellungsverfahrens ist der ESt-Bescheid des A gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO dergestalt zu ändern, dass dem A nur noch ein Überschuss von 1.250 EUR zuzurechnen ist.
Wegen der fehlenden zeitlichen Vorgabe kann das für den Folgebescheid zuständige Finanzamt diesen Bescheid bereits vor dem Grundlagenbescheid erlassen und die noch festzustellenden Besteuerungsgrundlagen schätzen. Andernfalls wäre eine ESt-Veranlagung oft noch nicht möglich, wenn sich das Feststellungsverfahren verzögern sollte. Das Feststellungsverfahren bleibt aber inhaltlich vorgreiflich. Entscheidend ist daher im Schätzungsfall, dass der Erlass des Grundlagenbescheids zwar verzögert, seine Erteilung aber beabsichtigt war. Im Übrigen muss für den Adressaten aus dem Bescheid oder aus den Umständen eindeutig erkennbar sein, dass eine bestimmte Besteuerungsgrundlage von der Regelung in einem Grundlagenbescheid abhängig sein soll. Sonst ist der Bescheid rechtswidrig. Sobald der abweichende Grundlagenbescheid erlassen wird, ist der Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Eine Änderung eines Einkommensteuerbescheids als Folgebescheid, in welchem nach § 155 Abs. 2 AO und § 162 Abs. 5 AO bereits berücksichtigte Besteuerungsgrundlagen enthalten sind, ist allerdings nicht mehr möglich, wenn der entsprechende Grundlagenbescheid wegen Eintritts der Feststellungsverjährung wie auch der Festsetzungsverjährung nicht mehr ergehen kann. In diesem Umstand liegt auch kein rückwirkendes Ereignis i. S. v. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO, gleich, ob hierzu ein negativer Feststellungsbescheid ergeht oder nur eine Mitteilung erfolgt.
Die Schätzungsmöglichkeit nach §§ 155 Abs. 2, 162 Abs. 5 AO gilt nicht, wenn bereits ein Grundlagenbescheid besteht, dessen Änderung zu erwarten ist. Im Vorgriff auf diese Änderung kann der Folgebescheid noch nicht korrigiert werden. Denn der ursprüngliche, wenn auch unrichtige Grundlagenbescheid ist für den Folgebescheid solange bindend, als er noch nicht ersetzt wurde.
Innerhalb der Schätzungsbefugnis hat das Finanzamt auch die Frage zu beantworten, ob und in welcher Höhe es die gesetzlichen Vorgaben eines beantragten Abzugsbetrags nach § 10f bzw. § 7i EStG vorläufig als gegeben ansieht. In einem vom BFH entschiedenen Fall reichten die vorgelegten Unterlagen nicht aus, um bereits vor der Erteilung der endgültigen Bescheinigung des Denkmalamtes die Steuerermäßigung nach § 10f EStG zu erhalten.
In sachlicher Hinsicht bezieht sich die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids auf alle Fragen, deren abschließende Entscheidung dem Grundlagenverfahren vorbehalten ist. Dies schließt auch aus, dass über einen im Feststellungsverfahren entschiedenen Sachverhalt im Folgeverfahren anders entschieden wird, selbst dann, wenn die Grundlagenentscheidung falsch sein sollte. Eine Änderung könnte nur über eine Änderung des Grundlagenbescheids erreicht werden, wenn dies dort noch möglich ist. Diesen Grundsätzen entsprechend, können Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nur durch Anfechtung dieses Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids, angegriffen werden. Demzufolge muss, soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheids ausgesetzt wird, auch die Vollziehung des Folgebescheids ausgesetzt werden.
Das Prinzip der Bindungswirkung auch bei sachlich fehlerhaften Grundlagenbescheiden gilt ebenso bei rechtswidrigen Grundlagenbescheiden anderer Behörden, z. B. einer rechtswidrigen Bescheinigung nach § 7h Abs. 2 EStG.