Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Inzwischen gehen dem Vernehmen nach bei den Finanzämtern nach wie vor täglich "waschkörbeweise" Einsprüche gegen die Feststellungen der Grundsteuerwerte auf den 1.1.2022 ein, mit denen insbesondere verfassungsrechtliche Zweifel an den neuen Regelungen geltend gemacht werden. Die Flut der Einspruchsverfahren ist keinesfalls rückläufig, denn die Finanzämter sind zwischenzeitlich dazu übergegangen, in den Fällen, in denen betroffene Steuerpflichtige keine Feststellungserklärungen zur Grundsteuer abgegeben haben, die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO schätzen. Während die Steuerpflichtigen in den sog. "Schätzungsfällen" in einem ersten Schritt zunächst eine Feststellungserklärung zur Grundsteuer abgeben bzw. die Abgabe zumindest in Aussicht stellen, gehen die einspruchsführenden Steuerpflichtigen hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit der neuen Grundsteuerwerte regelmäßig von folgenden Erwägungen aus (vgl. hierzu auch die Beschlüsse des FG Rheinland-Pfalz v. 23.11.2023, 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23):
Die neuen Bewertungsverfahren sowohl im Bereich des Grundvermögens als auch im Bereich des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens sehen aus Vereinfachungsgründen umfassende Typisierungen vor. Nach der Rechtsprechung des BVerfG steht es dem Gesetzgeber zwar grundsätzlich frei, bestimmte Bewertungsparameter typisierend festzulegen und deren Rechtsverbindlichkeit bei der Bewertung von Grundbesitz anzuordnen, solange die Grenzen der Typisierung eingehalten sind. Die Typisierung, die der Bewertung zugrunde liegt, rechtfertigt aber keine Verletzung des Übermaßverbots im Einzelfall.
Das Übermaßverbot ist verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Belastung extrem über das normale Maß hinausgehen, das der Schematisierung zugrunde liegt, oder – anders ausgedrückt – die Folgen auch unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellungen durch den gebotenen Anlass nicht mehr gerechtfertigt sind
Der Gesetzgeber hat sich im Bundesmodell dafür entschieden, den typisiert ermittelten Grundstückswert als Belastungswert heranzuziehen. Hierbei akzeptiert er aber extreme Nivellierungen der Grundsteuerwerte durch die typisierte Bewertung. Das Bundesmodell sieht keine gesetzliche Möglichkeit vor, einen niedrigeren gemeinen Wert als den sich nach den Bewertungsvorschriften des BewG ergebenden nachzuweisen. Die Möglichkeit des Nachweises von tatsächlich niedrigeren Bodenrichtwerten (oder auch Vergleichsmieten) gebietet aber das grundgesetzliche Übermaßverbot. Für das Bundesmodell muss daher die Möglichkeit eröffnet werden, durch ein Gutachten oder sonstige aussagekräftige Unterlagen nachzuweisen, dass der tatsächliche Bodenwert des Grundstücks erheblich von dem nach § 247 Abs. 1 Satz 2 BewG unangepassten Bodenrichtwert abweicht (vgl. hierzu auch die Beschlüsse des BFH v. 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV) sowie die koordinierte Ländererlasse (Oberste Finanzbehörden der Länder v. 24.6.2024, S 3017, BStBl 2024 I S. 1073).
Zudem stehen die finanziellen Auswirkungen der Grundsteuer erst nach Festsetzung der nachfolgenden Grundsteuerbescheide durch die Gemeinden fest. Zu diesem Zeitpunkt werden die Grundsteuerwertbescheide (als Grundlagenbescheide) jedoch regelmäßig bereits bestandskräftig sein. Die Rechtsfolgen der Grundsteuerwertbescheide lassen sich damit in Ermangelung angepasster Hebesätze bis zum Ende der Rechtsbehelfsfrist der Grundlagenbescheide nicht absehen. Dies könnte gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierende Bestimmungsgebot, dass auch im Steuerrecht gilt, verstoßen.
Das Bestimmungsgebot besagt, dass der Bürger erkennen muss, welche Rechtsfolgen sich aus seinem Verhalten ergeben können. Die staatliche Reaktion auf sein Handeln muss also voraussehbar sein, andernfalls bestünde die Gefahr einer staatlichen Willkür. Der Bestimmtheitsgrundsatz schafft also Rechtssicherheit.
Die Finanzverwaltung weist derartige Einsprüche – soweit hier bekannt – entgegen ihrer in vergleichbaren Fällen üblichen Vorgehensweise überwiegend nicht als unbegründet zurück, sondern bringt die Einspruchsverfahren mit Zustimmung der Einspruchsführer nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO zum Ruhen bzw. ruhten die Einspruchsverfahren bislang wegen der beim BFH anhängigen Beschwerdeverfahren II B 78/93 (AdV) und II B 79/23 (AdV) nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO kraft Gesetzes (sog. Zwangsruhe). Ob die Finanzämter in den Einspruchsverfahren, in den sich Steuerpflichtige (ausschließlich) auf die Verfahren II B 78/93 /AdV) und II B 79/23 /AdV) berufen haben, nunmehr Forstsetzungsmitteilungen nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO erlassen werden, bleibt abzuwarten.
Das Ruhen der Einspruchsverfahren bei den Finanzämtern ist aus unserer Sicht sinnvoll und zu begrüßen, denn ansonsten würde den Finanzgerichten eine nicht zu bewältigende "Klagewelle" drohen.
Wir haben nachfolgend eine Formulierungshilfe für einen Einspruch gegen einen Grundsteuerwertbescheid im Bundesmodell für Sie erarbeitet.
Formulierungshilfe
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