Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
2.5.1 Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit durch den BFH
Der BFH hatte im Jahr 2010 entschieden, dass die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens seiner Auffassung nach jedenfalls für Stichtage bis zum 1.1.2007 noch verfassungsgemäß sind. In Reaktion auf diese Rechtsprechung und zur Vermeidung von Masseneinsprüchen wurden nach den gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 19.4.2012 bzw. 18.5.2015 (zunächst) Feststellungen der Einheitswerte für Grundstücke und (später zudem auch) für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft sowie Festsetzungen des Grundsteuermessbetrags im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten hinsichtlich der Frage, ob die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens verfassungsgemäß sind, nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig durchgeführt.
Allerdings hielt der BFH die Vorschriften über die Einheitsbewertung (spätestens) ab dem Bewertungsstichtag 1.1.2008 bzw. 1.1.2009 für verfassungswidrig, weil die Maßgeblichkeit der Wertverhältnisse am Hauptfeststellungszeitpunkt 1.1.1964 für die Einheitsbewertung seiner Ansicht nach zu Folgen führt, die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht mehr vereinbar sind. Er legte die in den Ausgangsverfahren anwendbaren Vorschriften über die Einheitsbewertung dem BVerfG zur Prüfung vor.
Bedeutung für Aussetzung der Vollziehung und Erlass von Säumniszuschlägen?
Der BFH hat in einem Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision entschieden, dass ein Klageverfahren, in dem der Kläger den Erlass von Säumniszuschlägen zur Grundsteuer wegen möglicher Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung begehrt, nicht deshalb nach § 74 FGO auszusetzen ist, weil der BFH dem BVerfG die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die Einheitsbewertung ab 2008 vorgelegt hat. Die beim BVerfG anhängigen Verfahren rechtfertigen nach Auffassung des BFH auch keine Aussetzung der Vollziehung von Einheitswertbescheiden und auch keinen Erlass von Säumniszuschlägen zur Grundsteuer.
2.5.2 BVerfG trifft Entscheidung mit weit reichender Bedeutung
Das BVerfG hat nunmehr in den vom BFH vorgelegten 3 Normenkontrollverfahren sowie in 2 weiteren Beschwerdeverfahren mit Gesetzeskraft entschieden, dass die derzeit geltenden, im Urteil des BVerfG v. 10.4.2018 näher bezeichneten Regelungen des Bewertungsgesetzes zur Einheitsberwertung von bebauten Grundstücken, soweit sie bebaute Grundstücke außerhalb des Bereichs der Land- und Forstwirtschaft und außerhalb des in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiets betreffen, jedenfalls seit dem 1.1.2002 – dem in den vorliegenden Verfahren entscheidungserheblichen Zeitpunkt, der am weitesten zurückliegt – mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und damit verfassungswidrig sind. Dies stehe aufgrund von Wertverzerrungen, die durch Aussetzung neuer Hauptfststellungen verursacht werden und für die es keine hinreichende Rechtfertigung gebe, fest. Die Grenze hinnehmbarer Ungleichbehandlung sei im Jahr 2002 und damit nahezu 40 Jahre nach dem letzten Hauptfeststellunszeitpunkt überschritten.
Periodische Bewertung des Grundvermögens
Das System der Einheitsbewertung sei davon geprägt, dass in regelmäßigen Zeitabständen eine allgemeine Wertfeststellung (die sog. Hauptfeststellung) stattfinde. Diese Hauptfeststellung solle alle sechs Jahre für bebaute und unbebaute Grundstücke erfolgen. Ziel der Bewertungsregelungen sei es, Einheitswerte zu ermitteln, die dem Verkehrswert der Grundstücke zumindest nahe kommen. Der Verkehrswert sei danach in diesem System die Bezugsgröße, an der sich die Ergebnisse der Einheitsbewertung im Hinblick auf Art und Umfang etwaiger Abweichungen zur Beurteilung einer gleichheitsgerechten Besteuerung messen lassen müssen.
Die im Gesetz vorgesehene periodische Wiederholung der Hauptfeststellung sei zentral für das vom Gesetzgeber selbst so gestaltete Bewertungssystem. Ihm liege der Gedanke zugrunde, dass die den Verkehrswert der Grundstücke bestimmenden Verhältnisse einheitlich zum Zeitpunkt der Hauptfeststellung möglichst realitätsnah abgebildet werden. Da diese Verh...