Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Bei einem Hochschullehrer ist das häusliche Arbeitszimmer grundsätzlich nicht der Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit.
Normenkette
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG i.d.F. des JStG 2010, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b i.d.F. des StÄndG 2007, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b i.d.F. des JStG 1996, § 9 Abs. 5 EStG, § 127 FGO
Sachverhalt
K ist nichtselbstständig tätiger Hochschullehrer an der Universität X; sein Familienwohnsitz befindet sich in Y. K machte mit seiner ESt-Erklärung 2007 Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer (1.080 EUR) als Werbungskosten geltend. K begründete dies damit, dass er im häuslichen Arbeitszimmer die Handlungen und Leistungen, die für seinen Beruf wesentlich und prägend seien, ausführe; sowohl der quantitative als auch der qualitative Schwerpunkt seiner Tätigkeit lägen dort. Das FA folgte dem nicht; und auch die Klage blieb erfolglos (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.2.2010, 6 K 2045/09, Haufe-Index 2601565, EFG 2011, 419).
Entscheidung
Der BFH wies auch die Revision aus den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen zurück.
Hinweis
1. Das Besprechungsurteil hier, wie auch das nachfolgend besprochene (BFH, Urteil vom 8.12.2011, VI R 13/11, BFH/NV 2012, 510, BFH/PR 2012, 112), behandelt eine Grundfrage zum häuslichen Arbeitszimmer, nämlich unter welchen Voraussetzungen das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Das BVerfG hatte bekanntlich die bisherige Regelung zum häuslichen Arbeitszimmer teilweise für verfassungswidrig erklärt (BVerfG, Beschluss vom 6.7.2010, 2 BvL 13/09, BFH/NV 2010, 1767). Nun gilt – rückwirkend für alle offenen Fälle ab 2007 (§ 52 Abs. 12 Satz 9 EStG) – § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 2010. Danach ist der Werbungskostenabzug für ein häusliches Arbeitszimmer grundsätzlich ausgeschlossen. Satz 2 gestattet (ausnahmsweise) den – vom BVerfG insoweit geforderten – Abzug, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht; dann aber auch nur begrenzt auf bis zu 1.250 EUR. Nach Satz 3 gilt die Höchstgrenze aber dann nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Kurz zuvor erst hatte der Senat dazu entschieden, wann "ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht" (BFH, Urteil vom 5.10.2011, VI R 91/10, BFH/NV 2012, 314, BFH/PR 2012, 77).
2. Weil K in der Universität einen anderen Arbeitsplatz hatte, kam ein Abzug für das häusliche Arbeitszimmer nur in Betracht, wenn es den "Mittelpunkt der gesamten ... Betätigung" bildet. Indessen ist das Merkmal trotz seiner Bedeutung weder gesetzlich definiert noch geben Gesetzesmaterialien weiteren Aufschluss; und zwar weder die der ursprünglichen Regelung (JStG 1996) noch die der Neuregelung (JStG 2010). Bisher galt nach dem BFH, dass sich der Mittelpunkt danach richtete, ob im Arbeitszimmer diejenigen Handlungen vorgenommen und Leistungen erbracht werden, die für den ausgeübten Beruf wesentlich und prägend sind, also den "(qualitativen) Schwerpunkt" der Betätigung bilden (z.B. BFH, Urteile vom 15.3.2007, VI R 65/05, BFH/NV 2007, 1133; vom 23.5.2006, VI R 21/03, BFH/NV 2006, 1573, BFH/PR 2006, 306 m.w.N.). Entscheidend ist unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung, ob das qualitativ für eine bestimmte Tätigkeit Typische im häuslichen Arbeitszimmer ausgeübt wird. Das ist weder bei einem Lehrer noch bei einem Hochschullehrer der Fall. Das Wesensmäßige der Hochschullehrertätigkeit, nämlich die Lehre, muss in der Universität stattfinden. Wenn die das Berufsbild prägende Tätigkeit außerhalb des häuslichen Arbeitszimmers stattfindet, dann kann auch eine zeitlich weit überwiegende Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers keine Verlagerung des Mittelpunkts bewirken. Diese "Mittelpunkt-Rechtsprechung" gilt auch für die neue Rechtslage (JStG 2010).
3. Beachten Sie die Einschränkung im Urteil, dass die "Mittelpunkt-Rechtsprechung" jedenfalls für die Fälle fortgelten soll, in denen der Steuerpflichtige nur eine einzige berufliche Tätigkeit teilweise zu Hause, teilweise auswärts ausübt. Damit ist offensichtlich gemeint: Es bleiben neue Lösungsansätze für Fallkonstellationen vorbehalten, in denen ein Steuerpflichtiger mehrere berufliche Tätigkeiten ausübt, etwa für seine Hauptberufstätigkeit einen Arbeitsplatz beim Arbeitgeber zur Verfügung hat, aber für eine weitere Nebentätigkeit diesen arbeitgebereigenen Arbeitsplatz nicht nutzen darf und deshalb dafür im häuslichen Arbeitszimmer tätig werden muss.
4. Mit dem BVerfG hatte der BFH gegen § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG für den Fall, dass für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, schließlich auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 27.10.2011 – VI R 71/10