Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung des Mehrbedarfs bei einem schwerstbehinderten Kind
Leitsatz (redaktionell)
- Bei der Gewährung des Behindertenpauschbetrages nach § 33 b Abs. 3 S. 3 EStG sowie bei nachgewiesenem Mehrbedarf ist gezahltes Pflegegeld anzurechnen.
- Der durch die Hilflosigkeit und dauernde Beaufsichtigung eines schwerstbehinderten Kindes verursachte und durch Eigenleistung erbrachte behinderungsbedingte Mehrbedarf ist zu schätzen, wobei es sachgerecht ist, den Wert der vom Steuerpflichtigen erbrachten Pflegeleistungen mit dem Betrag anzusetzen den dritte Personen (insbesondere ein Pflegedienst) in Rechnung stellen würden.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 Nr. 3, §§ 62-63, 33b Abs. 3 S. 3
Streitjahr(e)
2006
Tatbestand
Die Klägerin beantragte am 28.04.1999 bei der Beklagten für ihren Sohn X, geboren am 16.06.1971, die Zahlung von Kindergeld. X erlitt am 05.12.1996 einen schweren Autounfall, in dessen Folge er zu 100% schwerbehindert und hilflos ist (Gehirnschaden; apallisches Syndrom). Er bedarf ständiger Betreuung. Auf den Schwerbehindertenausweis wird verwiesen. Mit Bescheid vom 19.05.1999 bewilligte die Beklagte ab Juli 1997 unbefristet die Zahlung von Kindergeld für das Kind X.
Im Rahmen einer Überprüfung der Rechtsgrundlagen für die Kindergeldzahlung stellte die Beklagte unter dem 26.10.2006 eine Bedarfsberechnung an, wonach das Kind X einen Lebensbedarf von 11.380,00 € habe und ihm eigene Mittel in Höhe von 11.382,00 € pro Jahr zur Verfügung stünden. Die Beklagte kam zu dem Ergebnis, dass aufgrund dieser Tatsache kein Kindergeldanspruch bestehe. Mit Bescheid vom 14.12.2006 hob die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld ab dem 01.01.2007 auf, weil das Kind X im Stande sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.
Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Die Beklagte wies den Einspruch vom 15.01.2007 mit Entscheidung vom 08.06.2007 als unbegründet zurück.
Mit der nunmehr erhobenen Klage ist die Klägerin der Auffassung, der angefochtene Aufhebungsbescheid sei rechtswidrig, die Beklagte sei weiterhin zur Zahlung von Kindergeld verpflichtet. Die Bedarfsberechnung berücksichtige nicht, dass X aufgrund seiner Behinderung einen erheblichen Mehrbedarf habe, der den von der Beklagten angesetzten Behindertenpauschbetrag von 3700,00 € bei weitem überschreite. So seien die Darlehenskosten unberücksichtigt geblieben, die der Finanzierung des Unfallwagens gedient hätten. Weiter seien in 2007 ein Gehgurt (326,54 €), ein Schwimmbadlifter nebst Baderollstuhl (4.669,56 €) sowie Medikamente (624,90 €) angeschafft worden. X bedürfe der dauerhaften Anwesenheit einer Pflegeperson. Dies werde durch die Bescheinigung des Amtsarztes vom 25.09.2007 bestätigt. Die Pflege werde „rund um die Uhr” von der Klägerin selbst durchgeführt. Hierfür erhalte sie zwar 665,-- € Pflegegeld (ein entsprechender Beleg wurde in der mündlichen Verhandlung zur Einsicht vorgelegt; auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen), dieser Betrag decke den Wert der selbst erbrachten Pflegeleistung aber bei weitem nicht ab. Zum Nachweis reichte die Klägerin einen Kostenvoranschlag der Sozialstation A vom 25.09.2002 zu den Akten, wonach für die Grundpflege des Sohns X ein Betrag von 2.085,72 € monatlich zu berechnen sei. Weiter seien Versicherungsbeiträge für das benötigte Kfz angefallen und das Rehabilitationszentrum für Intensiv-Therapie B habe am 18.04.2007 eine Rechnung über 2.919,00 € dafür erstellt, dass die Klägerin ihren hilflosen Sohn während der Rehabilitationsmaßnahme begleitet habe. Letztlich seien auch ständig Kraftfahrzeugkosten angefallen, weil die Klägerin den Sohn zu Ärzten und zur Krankengymnastik gefahren habe. Die Klägerin reichte hier eine Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin vom 24.01.2008 zu den Akten, wonach die Klägerin mit ihrem Sohn zwei- bis dreimal pro Woche Fahrten in die Arztpraxis vornehme. Weiter bestätigte die Physiotherapeutin unter dem 27.09.2007, dass die Klägerin mit ihrem Sohn X seit Februar 2000 einmal wöchentlich in ihrer Praxis erscheine. Unter dem 27.01.2008 bescheinigte die Krankengymnastin, dass die Klägerin ihren Sohn X wöchentlich vier bis fünfmal zur Behandlung fahre. Auf die Bescheinigungen wird verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 14.12.2006 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 08.06.2007 zu verpflichten, ab dem 01.01.2007 Kindergeld für den Sohn X zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wird vorgetragen, im Rahmen der Bedarfsberechnung sei nicht, wie in der Einspruchsentscheidung geschehen, der Behindertenpauschbetrag anzusetzen, sondern das für X bezogene Pflegegeld in Höhe von 7.980,00 €. Dieses Pflegegeld sei neben der bezogenen Rente von 11.664,00 € auf der Einnahmenseite bei den für X zur Verfügung stehenden Mitteln zu berücksichtigen. Unter dem Ansatz einer Kostenpauschale von 282,00 € ergebe sich so, dass X eigene Mittel in Höhe von 19.362,00 € zur Verfügung stünden. Der Lebensbedarf sei dagegen ...