rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang und Grenzen des Beurteilungsspielraums

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Soweit die Beurteilung der Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen unterschiedlichen Ansichten Raum läßt, muß dem Prüfling ein angemessener Antwortspielraum zugestanden werden.
  2. Trotz dieses dem Prüfling zu gewährende Antwortspielraums erfordert die Richtigkeit der Lösung neben der Vertretbarkeit des Ergebnisses noch eine mit gewichtigen Argumenten belegte, folgerichtige Begründung.
  3. Die Bewertung des Umfangs und der Qualität der Argumentation ist Gegenstand des Beurteilungsspielraums und unterliegt nicht der gerichtlichen Kontrolle.
  4. Die Steuerberaterprüfung ist, da in die Bewertung der Vollständigkeit und Angemessenheit der Antwort in großem Umfang wertende und vergleichende Elemente mit einfließen vom Konzept her nicht wie eine Prüfung im sog. Multiple- choice-Verfahren an einer absoluten Bestehensgrenze ausgerichtet.
  5. Für die Frage des Vorliegens einer absoluten Bestehensgrenze ist die Konzeption der Prüfung maßgebend und nicht , ob der Prüfer von der ihm eingeräumten Abweichungsmöglichkeit eines unverbindlichen Lösungshinweises Gebrauch macht.
 

Normenkette

DVStB § 15 Abs. 1

 

Streitjahr(e)

1996

 

Tatbestand

Der Kläger hat an der Steuerberaterprüfung 1996 teilgenommen. Im schriftlichen Teil erzielte er folgende Ergebnisse:

Klausur Verfahrensrecht u.a. Steuerrechtsgebiete 5,0

Klausur Ertragssteuern 5,5

Klausur Buchführung und Bilanzwesen 4,5

Mit Bescheid vom 16. Januar 1997 hat das beklagte Ministerium dem Kläger mitgeteilt, daß er die Prüfung nicht bestanden habe, da er im schriftlichen Teil eine Gesamtnote von nur 5,00 erreicht habe und daher eine Teilnahme an der mündlichen Prüfung entfalle. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage.

Das Gericht hatte das Verfahren auf Antrag des Klägers bis zum Abschluß der verwaltungsinternen Überprüfung der Bewertung der Klausuren ausgesetzt. Diese führte nicht zu einer Änderung der Benotung.

Unter Berufung auf ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten begehrt der Kläger die Vergabe weiterer Wertungspunkte für die Klausuren aus dem Gebiet der Ertragssteuern und dem der Buchführung bzw. des Bilanzwesens. Die Vergabe dieser Punkte würde dazu führen, daß die Ertragssteuerklausur mit 5,0 und die Buchfürungs-/Bilanzwesen-Klausur mit 3,0 zu bewerten wäre. Wegen der Einzelheiten wird auf das vorgelegte Gutachten (Bl. 128 ff d.A. FG) sowie die Stellungnahmen der Prüfer hierzu (Bl. 170 f, 183 f -Ertragssteuer- und Bl. 162 ff, 167 ff d.A. des Beklagten -Buchführung/Bilanzwesen) verwiesen.

Der Kläger ist der Auffassung, daß im Hinblick auf Artikel 12 des Grundgesetzes (GG) die Anforderungen an eine den Zugang zu einem Beruf eröffnende Prüfung nicht zu hoch angesetzt werden dürfen. Die Durchfallquoten hätten in der Vergangenheit zwischen 50 und 60 Prozent gelegen. Bei der Steuerberaterprüfung 1996 hätten 65,3% der Kandidaten nicht bestanden.

Das den Prüfern vorgegebene Punkteschema enge den Beurteilungsspielraum der Prüfer ein und führe zu einer absoluten Bestehensgrenze, was nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässig sei.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, den Kläger unter Aufhebung der angefochtenen Prüfungsentscheidung und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Das beklagte Ministerium beantragt,

die Klage abzuweisen.

Dem Gericht haben vorgelegen: 2 Bände der bei der Beklagten geführtenPrüfungsakten des Klägers, sowie die drei von dem Kläger gefertigten Klausuren im Original einschließlich der dazugehörenden Lösungshinweise in Kurz- und Langform.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet.

Prüfungsentscheidungen, von denen der Zugang zu einem bestimmten Beruf - hier dem des Steuerberaters - abhängt, greifen in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit ein, weil sie dem Betroffenen - möglicherweise endgültig - die Ausübung dieses Freiheitsrechts verwehren. Deshalb besteht nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (u.a. Beschluß vom 30. Juni 1995 VII B 175/94, BFH/NV 1996, 180) bei berufsbezogenen Prüfungen wie der Steuerberaterprüfung ein Anspruch des Prüflings auf effektiven Schutz seines Grundrechts der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Jeder Prüfling, der meint, ungerecht beurteilt worden zu sein, hat einen Anspruch darauf, die betreffenden Beurteilungen der Prüfer nachprüfen zu können und ggf. gerichtlich nachprüfen zu lassen. Die gerichtliche (Rechtmäßigkeits-)Kontrolle von Prüfungsentscheidungen ist allerdings inhaltlich begrenzt (vgl. u.a. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 17. April 1991 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83, BVerfGE 84, 34, Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 1991, 2005). Denn die Bewertung einer Prüfungsleistung beruht - außer auf der fachspezifischen Beurteilung der Prüfungsleistungen - auf komplexen Erwägungen, die sich nicht regelhaft erfassen lassen, insbesondere auf den persönlichen, subjektiven Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer (ihrem höchst...

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