rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfungszeitverlängerung bei schwerer Behinderung
Leitsatz (redaktionell)
- Das Verpflichtungsbegehren auf Gewährung von Prüfungserleichterungen nach § 18 Abs. 3 DVStB muss nicht zwingend mit dem Antrag auf Zulassung zur Prüfung verknüpft werden.
- § 18 Abs. 3 DVStB widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, soweit er die Verlängerung der Bearbeitungszeit auf eine Stunde beschränkt.
- Eine Schreibzeitverlängerung zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile ist aus prüfungsorganisatorischen Gründen nur bis zu 50% möglich.
Normenkette
DVStB § 18 Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger begehrt Prüfungserleichterungen bei der schriftlichen Steuerberaterprüfung zum Ausgleich seiner Behinderung.
Der Kläger, der seit Anfang 1997 als Diplom-Betriebswirt (FH) bei einer Steuerberatungsgesellschaft im Raum XXXX arbeitet, erlitt im Mai 1998 eine Hirnblutung, die zu einem erheblichen Gesichtsfeldausfall in Form eines Halbseitendefektes der jeweils linken Gesichtshälfte am rechten und linken Auge führte. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das augenfachärztliche Gutachten des Universitätsklinikums Y vom 6.04.2001 (Bl. 10 ff d.A. FG) verwiesen. In diesem Gutachten wird die Behinderung des Klägers am Beispiel des Erfassens des Wortes „nichtselbständig” verdeutlicht. Stehe dieses Wort in einem Kontext so bestehe die Gefahr, dass der Kläger den Bestandteil „nicht” übersehe. Um ein Fehlerkennen von Worten zu vermeiden, müsse jedes Wort sorgsam von links nach rechts abgetastet werden. Das Gutachten kommt zu der durch ein amtsärztliches Attest bestätigten Schlussfolgerung, dass die Behinderung durch eine Schreibzeitverlängerung von fünfzig Prozent zuzüglich Pausen kompensiert werden könne. Auf Anfrage des Gerichtes hat die Amtsärztin des Stadtgesundheitsamtes F. mitgeteilt, dass die Behinderung des Klägers in ihrer Schwere einer vollständigen Erblindung gleichzustellen sei.
Als Anlage zu seinem Antrag auf Zulassung zu Steuerberaterprüfung 2001 beantragte der Kläger eine Schreibzeitverlängerung je Aufsichtsarbeit von drei Zeitstunden. Mit Bescheid vom 22.06.2001 hat das beklagte Ministerium die Schreibzeit um je eine Stunde verlängert und eine weitere Verlängerung unter Hinweis auf die bereits ausgeschöpfte Höchstgrenze nach § 18 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften (DVStB) abgelehnt.
Daraufhin hat der Kläger am 1. August 2001 seien Antrag auf Zulassung zur Steuerberaterprüfung 2001 zurückgenommen. Mit der am 17. August 2001 eingegangenen Klage verfolgt er sein Begehren hinsichtlich der Schreibzeitverlängerung weiter.
Er ist der Auffassung, dass ihm trotz seiner Körperbehinderung ermöglicht werden müsse, die Steuerberaterprüfung unter annähernd gleichen Voraussetzungen wie Nichtbehinderte ablegen zu können. Ein Anspruch hierauf folge zunächst aus § 18 Abs. 3 Satz 1 DVStB, wonach körperbehinderten Personen für die Fertigung der Aufsichtsarbeiten eine der Behinderung entsprechende Erleichterung zu gewähren sei. Soweit § 18 Abs. 3 Satz 2 DVStB die Verlängerungsmöglichkeit auf eine Stunde begrenze, stelle dies einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit der Berufswahl nach Artikel 12 Grundgesetz (GG) dar.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Juni 2001 zu verpflichten,
1. dem Kläger eine Verlängerung der Bearbeitungszeit für die schriftlichen Aufsichtsarbeiten im Rahmen der Steuerberaterprüfung 2002 sowie eventuell erforderlichen weiteren Prüfungsterminen gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 DVStB von drei Stunden je Aufsichtsarbeit einzuräumen,
2. dem Kläger vor Beginn der Verlängerungszeit von drei Stunden eine Pause von 30 Minuten und innerhalb der dreistündigen Verlängerungszeit eine weitere Pause von 15 Minuten zu gewähren, welche nicht auf die Bearbeitungszeit angerechnet wird,
hilfsweise,
nach Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag des Klägers, eine Schreibzeitverlängerung je Aufsichtsarbeit von drei Zeitstunden zu gewähren, erneut zu entscheiden.
Das beklagte Ministerium beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es bestehe seitens des Ministeriums Bereitschaft, dem Kläger Erleichterungen zu gewähren, die seiner Behinderung entsprächen. Die maximale Verlängerung der Bearbeitungszeit lege jedoch § 18 Abs. 3 Satz 2 DVStB auf eine Stunde fest.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist zum überwiegenden Teil begründet.
Der Zulässigkeit des gestellten Verpflichtungsantrages auf Gewährung von Prüfungserleichterungen steht nicht entgegen, dass der Kläger seinen Antrag auf Zulassung zur Steuerberaterprüfung 2001 bereits vor Klageerhebung zurückgezogen hat. Das Verpflichtungsbegehren hat sich dadurch nicht erledigt. Ein Antrag auf Gewährung von Prüfungserleichterungen zum Ausgleich einer bestehenden Körperbehinderung soll nach § 18 Abs. 3 Satz 3 DVStB mit dem Antrag auf Zulassung zur Prüfung gestellt werden. Die Wirkungen der begehrten Regelung sind jedoch nicht ...