Die Rechtsfolgen aus einem Verstoß gegen die Aufzeichnungs- und Mitwirkungsverpflichtung ergeben sich aus § 162 Abs. 3 und 4 AO. Dieser enthält Schätzungsbefugnisse der Finanzverwaltung sowie einmalig im deutschen Steuerrecht die Möglichkeit zur Festsetzung von Strafzuschlägen.
2.2.1 Schätzungsbefugnis
Ist der Stpfl. seinen Dokumentationspflichten i. S. d. § 90 Abs. 3 AO nicht oder nicht vollständig nachgekommen, so sieht § 162 Abs. 3 AO nunmehr eine widerlegbare Vermutung vor, derzufolge die inländischen Einkünfte des Stpfl. höher sind als in der Steuererklärung angegeben. Die Finanzverwaltung erhält die gesetzliche Legitimation, die Einkünfte des Stpfl. am oberen Ende der Fremdvergleichsbandbreite anzusetzen.
Die erweiterte Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 3 AO greift in folgenden Fällen:
- Nichtvorlage der Aufzeichnungen,
- Vorlage von im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen,
- Aufzeichnungen für außergewöhnliche Geschäftsvorfälle wurden nicht zeitnah erstellt. Dies dürfte das größte Risiko bei Funktionsverlagerungen sein, da diese in der Praxis oft erst nachträglich von der Finanzverwaltung aufgegriffen werden.
Die VerwGrS 2020
enthalten folgenden – nicht abschließenden – Katalog:
- eine Sachverhaltsdokumentation fehlt oder es wird ein unzutreffender Sachverhalt dargestellt (verbunden mit erheblichen Auswirkungen auf das Funktions- und Risikoprofil, z. B. Entrepreneur wird als Routineunternehmen beschrieben, Beschreibung der vertraglichen Situation anstelle des tatsächlich abweichend Verwirklichten),
- eine Angemessenheitsdokumentation fehlt oder die vorgelegten Fremddaten passen nicht zum Funktions- und Risikoprofil,
- die Angemessenheitsanalyse enthält keine hinreichende Begründung der Vergleichbarkeit der verwendeten Fremddaten (z. B. Fremdpreise oder Fremdunternehmen; Vergleichbarkeitsanalyse, Tz. 3.1 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017), oder
- die Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode wird nicht dargestellt.
2.2.2 (Straf-)Zuschlag zur Steuer
Aus § 162 Abs. 4 AO ergibt sich aus Verstößen gegen § 90 Abs. 3 AO das zusätzliche Risiko des besondereren (Straf-) Zuschlags. Es handelt sich um ein Pendant zu den in anderen Staaten üblichen Verrechnungspreis-Penalties (insbesondere der USA).
Tatbestand |
Einkünftekorrektur |
Mindestbetrag |
Bandbreite |
Maximalbetrag |
Nichtvorlage oder Vorlage unverwertbarer Aufzeichnungen |
ja |
5.000 EUR |
5 – 10 % des Mehrbetrags der Einkünfte nach Berichtigung |
kein absolutes Maximum |
nein |
5.000 EUR als Festbetrag |
|
|
verspätete Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen |
ja/nein |
mind. 100 EUR für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung |
|
1.000.000 EUR |
Der Zuschlag ist regelmäßig nach Abschluss der Außenprüfung festzusetzen. Er stellt eine steuerliche Nebenleistung i. S. d. § 3 Nr. 4 AO dar und wirkt als nicht abzugsfähige Betriebsausgabe.
Hinsichtlich Einzelheiten der Auffassung der Finanzverwaltung vgl. die Rz. 89ff. der Verwaltungsgrundsätze 2020.
2.2.3 Verhältnis zur Nachforderungspflicht des § 90 Abs. 3 Satz 10 AO
In der Literatur wird die Frage aufgeworfen, ob Strafzuschläge zulässig sind, wenn der Gesetzgeber in § 90 Abs. 3 Satz 10 AO ab 2017 eine Nachforderungspflicht eingeführt hat.
Sie bilden hierbei folgende Fallgruppen:
Wurde eine Dokumentation eingereicht? |
ja |
|
nein |
Wann wurde die Dokumentation eingereicht? |
fristgerecht |
verspätet |
gar nicht |
Verwertbarkeit der Dokumentation? |
verwertbar |
unverwertbar |
verwertbar |
unverwertbar |
|
Nachforderungspflicht gem. § 90 Abs. 3 Satz 10 AO? |
nein |
ja |
nein |
ja |
nein |
Festzuhalten ist damit zumindest, dass vorab in den "Positivfällen" ein Anspruch auf Nachbesserung der Dokumentation besteht und erst bei Nichterfüllen der Nachbesserungsaufforderung eine Schätzung und Strafzuschlag drohen.
2.2.4 Rechtsprechung
Bisher liegt nur ein Aussetzungsbeschluss des BFH zum Strafzuschlag vor.
Dieser betrifft allerdings die Nichtexistenz einer Betriebsstätte und nicht Fragen der Funktionsverlagerung. Dennoch sind folgende Aussagen auch für diesen Themenbereich aufschlussreich:
- bei einer Nichtdokumentation liegt kein Ermessensfehler vor, wenn der Ermessensrahmen von 10 % ausgeschöpft wird;
im Verhältnis zu Drittstaaten liegt kein Verstoß gegen das unionsrechtlich gebotene Recht der Niederlassungsfreiheit vor.
Der BFH verweist allerdings ausdrücklich darauf, dass der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO in der Rechtsprechung, und von Teilen des Schrifttums mit Blick auf die unionsrechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit für unionsrechtswidrig gehalten wird.
Verrechnungspreisdokumentation EU-konform
Der BFH hat mit Urteil vom 10.04.2013 entscheiden, dass die deutschen formellen Verrechnungspreisgrundlagen, die Pflicht zu einer sog. Verrechnungspreisdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO, in Einklang mit dem Unionsrecht stehen. Der BFH hat allerdings nur die Verpflichtung "dem Grunde nach" geprüft.
Der EuGH hat ...