Leitsatz
Das Königreich der Niederlande hat durch die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf sämtliche Lieferungen, Einfuhren und innergemeinschaftlichen Erwerbe von Pferden gegen seine Verpflichtungen aus Art. 12 i.V.m. Anhang H der 6. EG-RL sowie aus den Art. 96 bis 99 Abs. 1 der MwStSystRL in Verbindung mit deren Anhang III verstoßen.
Normenkette
Art. 99 MwStSystRL und Anhang III Nrn. 1 und 11 (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Anlage 2 Nrn. 1 bis Nr. 4 UStG)
Sachverhalt
Der EuGH hatte über eine Klage der Kommission zu entscheiden, die die fehlerhafte Umsetzung der RL in den Niederlanden beanstandet hatte, das die Lieferung von Pferden ohne Einschränkung ermäßigt besteuert hatte.
Entscheidung
Die Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen. Solange die unter 4. wiedergegebene deutsche Regelung von der Kommission nicht beanstandet wird, bleibt es dabei soweit sie günstiger und eine richtlinienkonforme Auslegung nicht möglich ist.
Hinweis
1. Nach Art. 99 Abs. 1 der MwStSystRL i.V.m. Anhang III Nr. 1 darf ein ermäßigter Steuersatz nur angewandt werden für "Nahrungs‐ und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen), lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs‐ und Futtermitteln verwendete Zutaten, üblicherweise als Zusatz oder als Ersatz für Nahrungs‐ und Futtermittel verwendete Erzeugnisse", und nach Anhang III Nr. 11 für "Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die i.d.R. für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, mit Ausnahme von Investitionsgütern wie Maschinen oder Gebäuden".
2. Eine niederländische Regelung "übersetzte" die "lebenden Tiere" mit "Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine und Pferde". Die Einbeziehung von Pferden hielt die Kommission für unzulässig. Das bestätigte der EuGH: Der Unionsgesetzgeber habe mit der Einführung des Anhangs H der 6. EG-RL das Ziel verfolgt, dass auf die grundlegenden Güter sowie auf Gegenstände und Dienstleistungen, die sozialen oder kulturellen Zielen dienen, soweit von ihnen keine oder nur eine geringe Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung ausgeht, ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden kann. Ein Vergleich mit den unterschiedlichen Fassungen, vor allem aber der systematische Zusammenhang dieser Regelungen zur Ermäßigung ergebe, dass sich die Anwendung dieses ermäßigten Mehrwertsteuersatzes – Anhang III Nr. 1 – (nur) auf Gegenstände erstreckt, die selbst zwar keine Nahrungs‐ oder Futtermittel sind, jedoch üblicherweise dafür bestimmt sind, für deren Zubereitung verwendet zu werden. Als Lieferung von "lebenden Tieren" in dieser Liste dürfen daher nur ermäßigt besteuert werden Lieferungen, die vor der Schlachtung der Tiere durchgeführt werden. Auf die Lieferung von Pferden ist eine Ermäßigung daher allenfalls zulässig, wenn das Pferd zur Schlachtung geliefert wird, um für die Zubereitung von Nahrungs‐ oder Futtermitteln verwendet zu werden.
3. Der EuGH verweist zugleich auf Anhang III Nr. 11: Soweit dort ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz für die "Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die i.d.R. für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, mit Ausnahme von Investitionsgütern wie Maschinen oder Gebäuden", sei darauf hinzuweisen, dass Pferde in den Mitgliedstaaten nicht gewöhnlich und allgemein für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind und demzufolge insoweit die gleichen Erwägungen gelten wie im Rahmen von Nr. 1 dieses Anhangs. D.h. dass ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz lediglich für die Lieferung von Pferden für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung gewährt werden kann. Ebenso wenig wie Anhang III Nr. 1 erlaubt daher dessen Nr. 11 die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf sämtliche Lieferungen von Pferden. Insbesondere gilt daher für die Lieferung von Reitpferden kein ermäßigter Steuersatz.
4. Diese Rechtsprechungskriterien gelten in gleicher Weise für die Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 UStG. Danach ermäßigt sich die Steuer u.a. die Lieferung von Pferden (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 1 Nr. 1 Buchst. a) und für die Aufzucht und das Halten von Vieh (§ 12 Abs. 2 Nr. 3). Das Unterstellen von Reitpferden, die von ihren Eigentümern zur Ausübung von Freizeitsport genutzt werden, fällt daher nicht unter diese Vorschrift und ist deshalb mit dem allgemeinen Steuersatz zu versteuern (vgl. bereits BFH, Beschluss vom 23.02.2010, V B 93/09, BFH/NV 2010, 963; Rev. XI R 26/09). Auch für die Beurteilung als Lieferung oder sonstige Leistung im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs (§ 24 UStG) ist die Entscheidung von Bedeutung (BFH, Urteil vom 13.01.2011, V R 65/09, BFH/NV 2011, 947, BFH/PR 2011, 231); Reitpferdepension ist danach auch keine landwirtschaftliche Dienstleistung.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 03.03.2011 – C-41/09 – Kommission/Niederlande –