Leitsatz
Die Änderung des dem Organträger zuzurechnenden Einkommens der Organgesellschaft und eines dieser gegenüber ergangenen Körperschaftsteuerbescheids erfüllt – bezogen auf die dem Organträger gegenüber festgesetzte Körperschaftsteuer – weder die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 noch die des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
Normenkette
§ 175 Abs. 1 Satz 1 AO , § 14 Satz 1 KStG , § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG
Sachverhalt
Eine GmbH I war im Streitjahr 1989 als Organträgerin im Rahmen einer körperschaftsteuer- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft einer anderen GmbH II als Organgesellschaft verbunden.
Aufgrund einer "Mitteilung für den Organträger" des für die Besteuerung der GmbH II zuständigen FA II, welche dort aus Anlass einer Betriebsprüfung bei der Organgesellschaft gefertigt wurde, ging das FA davon aus, dass der Klägerin – als Organträgerin – ein gegenüber der bisherigen Veranlagung höheres Einkommen der Organgesellschaft zuzurechnen sei. Er erließ deshalb gem. § 164 Abs. 2 AO geänderte Bescheide; der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.
Später ging dem FA erneut eine "Mitteilung für den Organträger" des FA II zu, aus der sich ergab, dass das der Klägerin als Organträgerin im Streitjahr zuzurechnende Einkommen der Organgesellschaft geringer anzusetzen sei. Grund für die geänderte Mitteilung war, dass die Organgesellschaft erfolgreich die Feststellungen der Betriebsprüfung des FA II angegriffen hatte und deswegen ihr gegenüber ein geänderter Körperschaftsteuerbescheid ergangen war.
Die GmbH I beantragte nun, die ihr gegenüber ergangenen bestandskräftigen Steuerbescheide gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern und ihr das mitgeteilte geringere Einkommen der GmbH II zuzurechnen. Das FA lehnte den Änderungsantrag ab.
Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg (EFG 2003, 1667). Das FG nahm an, dass in der geänderten Einkommensermittlung bei der Organgesellschaft und der daraufhin dieser gegenüber geänderten Steuerfestsetzung ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liege.
Entscheidung
Der BFH teilte die Auffassung des FG nicht; er hob dessen Urteil auf und wies die Klage ab. Sämtliche denkbaren Änderungsregelungen, insbesondere aber § 175 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AO, seien nicht einschlägig. Näheres ergibt sich aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
1.Ausgangspunkt der Entscheidung war die gesetzliche Rechtsfolge der körperschaftsteuerlichen Organschaft, nämlich die Zusammenfassung der Einkommen beim Organträger und bei diesem die anschließende Einkommensbereinigung – zur Vermeidung einer doppelten steuerlichen Erfassung. Nur soweit die Organgesellschaft noch über eigenes nicht abzuführendes Einkommen verfügt, ergeht ihr gegenüber ein positiver KSt-Bescheid. Andernfalls lautet dieser auf null. Bei der Gewerbesteuer verhält es sich bekanntlich ähnlich, nur dass hier die Organgesellschaft kraft Gesetzes (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG) in die Funktion einer Betriebsstätte fingiert wird, was ihr eigenes gewerbesteuerliches "Verschwinden" zur Folge hat. Letzteres ist unter dem Stichwort der gebrochenen Einheitstheorie geläufig.
2. Vor diesem Hintergrund entfaltet der Steuerbescheid gegenüber der Organgesellschaft für den Steuerbescheid des Organträgers keine Grundlagenfunktion (i.S.v. § 171 Abs. 10 AO) und kann eine Änderung des dem Organträger gegenüber ergangenen Bescheids infolgedessen insoweit nicht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützt werden.
Zwar wird das für die Besteuerung des Organträgers zuständige FA das von dem für die Besteuerung der Organgesellschaft für diese ermittelte und ihm mitgeteilte Einkommen gemeinhin ungeprüft übernehmen. Dennoch gehen die (Teil-) Einkommen der Organgesellschaft und des Organträgers (nur) als unselbstständige Besteuerungsmerkmale in ein einheitliches Gesamteinkommen ein, welches vom Organträger zu versteuern ist. Die Ermittlung des Einkommens bei der Organgesellschaft ist für den Organträger ebenso wenig wie ein etwaiger der Organgesellschaft gegenüber ergangener Steuerbescheid bindend. Es fehlt an einer dafür erforderlichen gesetzgeberischen Verfahrensentscheidung. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG kann eine derartige gesetzgeberische Entscheidung nicht ersetzen; hierdurch wird lediglich materiell-rechtlich bestimmt, dass das Einkommen der Organgesellschaft an den Organträger abzuführen und diesem zuzurechnen ist. Die insoweit vertretene Gegenmeinung (Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz. 805; Jesse, DStZ 2001, 113, 116 f.) wurde vom BFH – wohl zu Recht – verworfen. Für die Ermittlung des Gewerbeertrags und des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags gilt im Ergebnis Gleiches.
3. Eine Änderung der dem Organträger gegenüber ergangenen Steuerfestsetzung kann auch nicht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt werden. Denn danach ist ein Steuerbescheid (nur dann) zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Ein solches Ereignis liegt unter den im Streitf...