Leitsatz
Lassen sich die Besteuerungsgrundlagen nicht ohne Erweiterung des Prüfungszeitraums feststellen, darf das FA gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO (St) 1987 über den Regelprüfungszeitraum von drei Jahren hinaus erweitern. Die Erweiterung ist nicht auf den überprüfungsbedürftigen Sachverhalt beschränkt. Sie darf sich vielmehr auf jenen Besteuerungszeitraum erstrecken, in dem der betreffende Sachverhalt verwirklicht wird.
Normenkette
§§ 193 Abs. 1, 194 Abs. 1 Satz 2, 196 AO , § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO (St) a.F.
Sachverhalt
Das FA ordnete bei der Klägerin, einer GmbH, eine Außenprüfung an, die sich auf die Jahre 1991 bis 1994 und hierbei auf die USt, KSt, GewSt und InvZul erstrecken sollte. Die Prüfung stützte sich auf § 193 Abs. 1 AO in Verbindung mit § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO (St) a.F. Die Einbeziehung des Jahres 1991 in den Prüfungszeitraum begründete das FA mit einer Rücklage, die die Klägerin wohl unberechtigterweise i.H.v. 100 000 DM zum 31.12.1991 gebildet hatte.
Die Klägerin akzeptierte die Prüfungsausdehnung nur im Grundsatz, nämlich für den fraglichen Sachverhalt der Rücklagenbildung. Mit der Erweiterung auf das gesamte Jahr 1991 war sie nicht einverstanden, sie hielt dies für ermessenswidrig.
Entscheidung
Der BFH sah hingegen keinen Grund zur Beanstandung: Es bestünden genügend Anhaltspunkte dafür, dass die Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der Rücklage nicht ohne Erweiterung des Prüfungszeitraums feststellen ließen und dass sich daraus nicht unerhebliche Steuernachforderungen ergaben. Für eine gegenständliche Beschränkung des Erweiterungszeitraumes bestehe kein Grund.
Die Rechtsfolge des § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO (St) a.F. liege darin, die prüfende Behörde von den Restriktionen des Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift zu befreien. Seien die Voraussetzungen dieser Vorgabe erfüllt, dann habe das FA freie Hand, es könne die Prüfung dann zeitlich insgesamt auf jenen Zeitraum erweitern, dem der ungewisse Sachverhalt zuzuordnen sei.
Hinweis
1. Das Urteil ist vom BFH nicht zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen worden. Es ist gleichwohl von erheblicher praktischer Relevanz bei Außenprüfungen. Denn es ist keineswegs selten, dass der Prüfer bei Durchführung einer Prüfung auf Sachverhalte stößt, die ihm Anlass geben, mit Mehrergebnissen auch für außerhalb des Prüfungszeitraums liegende Zeiträume zu rechnen. Er wird dann bei seinem Vorgesetzten eine Prüfungserweiterung anregen.
2. Eine solche Erweiterung steht allerdings im pflichtgemäßen Ermessen, wozu es auch gehört, dass (beschränkende) Regelungen beachtet werden, die sich die Verwaltung selbst gesetzt hat: Es gilt, den sog. Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung zu beachten: Das Gebot gleichmäßiger Behandlung der Steuerpflichtigen aufgrund von Verwaltungsvorschriften, das in Art. 3 Abs. 1 GG wurzelt.
Dazu gehört, dass sich der Prüfungszeitraum bei allen Nicht-Großbetrieben gem. § 4 Abs. 3 S. 1 BpO (St) a.F. regelmäßig nur auf drei Besteuerungszeiträume erstrecken soll, und zwar nach bisheriger, mittlerweile durch § 4 Abs. 3 BpO 2000 allerdings abgeschaffter Rechtslage bezogen auf diejenigen Zeiträume, für die bis zur Unterzeichnung der Prüfungsanordnung die Steuererklärungen für die Ertragsteuern abgegeben worden sind. Ausnahmen bestehen nur in den in § 4 Abs. 3 S. 2 BpO (St) a.F. genannten Fällen, u.a. bei zu erwartenden, nicht unerheblichen Mehrsteuern.
Ergibt sich ein solcher Erweiterungsgrund, dann kann der Steuerpflichtige nach Ansicht des BFH nun aber nicht verlangen, dass die Erweiterung auf den eigentlichen Erweiterungsgrund fokussiert wird. Das FA darf vielmehr das gesamte Jahr prüfen, in das der Erweiterungsgrund und der ungewisse Sachverhalt "fällt".
3. Darauf werden Sie sich einzustellen haben! Dem denkbaren Einwand, das FA müsse in der für den Steuerpflichtigen "schonendsten" Weise vorgehen, hat der BFH keine Rechnung getragen. Allerdings: Auch wenn sich die Prüfungserweiterung nicht nur auf den konkret umrissenen Sachverhalt beschränken muss, so wird es doch wohl kaum einen einigermaßen "ermessensgerechten" Grund dafür geben, die Prüfung auch für solche Steuern zu erweitern, die mit dem fraglichen Sachverhalt inhaltlich gar nichts zu tun haben.
Hier besteht ggf. Argumentationspotenzial! Wenn § 4 Abs. 3 BpO a.F./2000 ausdrücklich Ausnahmen benennt, dann sind diese beim Wort zu nehmen und dürfen nicht als eine Art Generalklausel missverstanden werden. Im Übrigen belegt nicht nur eine bloße Verwaltungsvorschrift, sondern eine Gesetzesbestimmung in Gestalt von § 203 AO, dass Prüfungen, die sich auf einzelne Besteuerungsgrundlagen eines Besteuerungszeitraums beschränken, durchaus gang und gäbe sind. Eine entsprechende Regelung ist ausdrücklich auch in die aktuelle BpO 2000 aufgenommen worden, vgl. dort § 4 Abs. 5.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 28.6.2000, I R 20/99