Leitsatz
Nach der BFH-Rechtsprechung besteht kein Anspruch auf Kindergeld für ein wegen einer Suchterkrankung behindertes Kind, das inhaftiert oder in einer Entziehungsanstalt untergebracht ist. Etwas anderes gilt jedoch, solange die Vollstreckung einer Haftstrafe gem. § 35 BtMG zugunsten einer Entwöhnungstherapie zurückgestellt ist. Dass es sich um eine stationäre Therapie handelt und das Kind die Behandlung vorzeitig abbricht, ändert in diesem Zeitraum nichts an einer Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt.
Sachverhalt
Die Klägerin nahm ihren Enkel im April 2012 in ihren Haushalt auf. Danach beendete der Enkel eine Ausbildung, und brach die anschließend begonnene Berufsoberschule wegen einer Suchterkrankung ab. Nach Auffassung des Amtsarztes hatten kurzzeitige stationäre Therapiemaßnahmen noch keine Besserung erbracht. Sein Zustand sollte sich jedoch nach Abschluss der stationären Langzeittherapie in den nächsten sechs bis acht Monaten soweit stabilisiert haben, dass die Berufsausbildung fortgesetzt werden könne. Den Antrag auf Kindergeld lehnte die Familienkasse ab, da es an einer Haushaltsaufnahme durch die Klägerin fehle. Mit ihrer Klage trägt die Klägerin vor, sie habe für den Enkel Wohnraum vorgehalten, sei für seine finanziellen Bedürfnisse aufgekommen, und habe durch ihre Zuwendung ein familiäres Band begründet.
Entscheidung
Die Familienkasse hat die beantragte Kindergeldfestsetzung zu Unrecht abgelehnt. Nach Auffassung des Finanzgerichts befand sich der Enkel in einem Krankheitsstadium, das das Ausmaß einer Behinderung erreicht hatte. Das Finanzgericht ist aufgrund der vorgelegten Unterlagen und des klägerischen Vortrags überzeugt, dass der Enkel behindert sei. Im Streitfall sei die drogenbedingte Behinderung und die darauf beruhende Erwerbsunfähigkeit des Enkels in dem ärztlichen Attest vom 1. 2. 2015 festgestellt worden. Diese Tatsache der "Behinderung" sei mitursächlich für eine fehlende Möglichkeit des Enkels zum Selbstunterhalt. Das Gericht hat weiter entschieden, dass eine Aufnahme in den Haushalt der Klägerin i. S. d. § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG (als weitere Voraussetzung für die Gewährung des Kindergeldes) auch während seiner Entwöhnungstherapie im Rahmen der Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG anzunehmen war
Hinweis
Die Revision wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen, und wird beim BFH unter dem Az. III R 21/15 geführt. Betroffene sollten in vergleichbaren Fällen gegen die Ablehnung des Kindergeldes unter Hinweis auf das vorstehende Revisionsverfahren Einspruch einlegen und auf das Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 AO verweisen.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 27.08.2015, 10 K 3121/14