Leitsatz

1. Setzt die Familienkasse in einem gegen einen Kindergeldaufhebungsbescheid gerichteten Klageverfahren Kindergeld für den vom Aufhebungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung erfassten Regelungszeitraum fest, wird dieser Änderungsbescheid gemäß § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens und lässt die Klagebefugnis entfallen.

2. Eine Klagebefugnis lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass für den nicht vom Aufhebungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung erfassten Anspruchszeitraum gegebenenfalls ein weiterer Kindergeldantrag erforderlich ist, der von der Ausschlussfrist des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG erfasst werden könnte.

3. Erlässt die Familienkasse in einem Rechtsstreit über die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung einen den gesamten Streitzeitraum umfassenden Abhilfebescheid, ist es zur Wahrung der in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG geregelten Sechsmonatsfrist als ausreichend anzusehen, dass der Kindergeldberechtigte im Verwaltungs- oder im sich anschließenden Klageverfahren rechtzeitig zum Ausdruck gebracht hat, dass er Kindergeld auch für einen konkreten Zeitraum außerhalb des vom Abhilfebescheid erfassten Regelungsbereichs begehrt (obiter dictum).

 

Normenkette

§ 70 Abs. 1 Satz 2 EStG, § 40 Abs. 2, § 44 Abs. 1, § 67, § 68 Satz 1 FGO, § 124 Abs. 2 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger ist der Vater seines 1994 geborenen Sohnes A, der an einer Universität immatrikuliert war. Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab Oktober 2016 auf, weil A seine Ausbildung abgebrochen hatte, und forderte das für Oktober 2016 bis August 2017 ausbezahlte Kindergeld zurück.

Im Klageverfahren gab die Familienkasse in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll, dass der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.3.2018 dahin gehend abgeändert werde, dass für Oktober 2016 bis März 2018 ein Kindergeldanspruch bestehe und Kindergeld gewährt werde.

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit im Umfang der Änderung für erledigt erklärt hatten und dieser Teil des Verfahrens abgetrennt worden war, begehrte der Kläger, den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid gleichwohl aufzuheben und so die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung wieder in Kraft zu setzen. Die Familienkasse war der Auffassung, dass es für eine Kindergeldbewilligung ab April 2018 eines neuen Antrags bedurft hätte.

Das FG hob den Aufhebungsbescheid insoweit auf, als er das Kindergeld ab April 2018 betraf (FG Münster, Urteil vom 2.6.2020, 9 K 1201/18 Kg). Es hielt den Kläger trotz des in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärten Änderungsbescheids für beschwert, da er anderenfalls für die Zeit ab April 2018 einen neuen Antrag hätte stellen müssen, durch den er aber aufgrund der Ausschlussfrist des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG sein Ziel nicht erreicht hätte. Die Klage sei auch begründet, da in den Verhältnissen, die für den Kindergeldanspruch erheblich seien, keine Änderungen eingetreten seien, die eine Aufhebung nach § 70 Abs. 2 EStG gerechtfertigt hätten.

 

Entscheidung

Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die auf Kindergeld für Monate nach der Einspruchsentscheidung gerichtete Klage ab. Er wies aber zugleich darauf hin, dass der Kläger insoweit mit seinem Vorbringen im Einspruchsverfahren einen noch nicht beschiedenen Antrag gestellt hatte.

 

Hinweis

1. Kindergeld wird regelmäßig durch einen unbefristeten Dauer-VA festgesetzt. Der Streitzeitraum des finanzgerichtlichen Verfahrens endet aber spätestens mit dem Monat der Einspruchsentscheidung, denn für spätere Monate fehlt es an einer zu überprüfenden Entscheidung der Familienkasse.

Für die Folgezeit muss Kindergeld somit neu beantragt werden, was nur selten zu Problemen führte, solange der Antrag innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist gestellt werden konnte.

2. Das änderte sich durch die Einführung der sechsmonatigen Auszahlungsbeschränkung des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG (und zuvor § 66 Abs. 3 EStG a.F.): Ein Anspruchsteller muss nunmehr fast gleichzeitig mit der Anfechtung des Aufhebungsbescheids auch einen neuen Antrag für die Folgezeit stellen, es sei denn, die erfolgreiche Anfechtung des Aufhebungsbescheids würde diesen nicht nur vollständig beseitigen, sondern auch die frühere Kindergeldfestsetzung wiederherstellen. Das hatte das FG hier angenommen und auch über die Folgezeit entschieden.

3. Der BFH widerspricht: Die Klagebefugnis ist zwingende Sachurteilsvoraussetzung und sowohl hinsichtlich der Klage als auch einer Klageänderung (§ 67 FGO) zu beachten. An der Klagebefugnis fehlt es, wenn die Familienkasse über den Kindergeldanspruch für den betreffenden Anspruchszeitraum noch keine negative Entscheidung getroffen hat.

4. Hilft die Familienkasse während des FG-Verfahrens für den Streitzeitraum ganz oder teilweise ab, so wird dieser Bescheid nach § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens und der ursprüngliche Festsetzungsbescheid entfaltet keine Wirkung mehr (§ 124 Abs. 2 AO). Nur über diesen geänderten Bescheid kann das FG daher entscheiden.

Ist die Anfechtungsklage erfolgr...

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