Leitsatz
Die Einbeziehung des Krankengelds, das ein freiwillig in einer gesetzlichen Krankenkasse versicherter Steuerpflichtiger erhält, in den Progressionsvorbehalt gem. § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG ist verfassungsgemäß.
Normenkette
§ 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG, Art. 3 GG
Sachverhalt
Der verstorbene Ehemann der Klägerin war als selbstständiger Schornsteinfeger tätig und hatte sich bei einer gesetzlichen Krankenkasse freiwillig krankenversichert. Das von ihm bezogene Krankengeld wurde von dem FA gem. § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG dem Progressionsvorbehalt unterworfen.
Die Klägerin war der Auffassung, der Progressionsvorbehalt gelte nicht für das Krankengeld, das ein freiwillig Versicherter von seiner Krankenkasse erhalte – unabhängig davon, ob es sich um eine private oder gesetzliche Krankenversicherung handle. Sie konnte damit jedoch weder das FA noch das FG überzeugen (Urteil des FG Düsseldorf vom 09.10.2006, 11 K 5157/04 E, Haufe-Index 1761091, EFG 2007 418).
Entscheidung
Auch der BFH wies ihre Revision aus den oben dargestellten Gründen als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 EStG werden bestimmte, enumerativ aufgezählte Lohn- und Einkommensersatzleistungen, die ein Steuerpflichtiger erhält, dem Progressionsvorbehalt unterworfen. Hierzu gehört auch das Krankengeld, das als steuerfreie Sozialleistung nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bezogen wird, d.h. Krankengeld, das eine gesetzliche Krankenkasse auszahlt. Nicht in den Progressionsvorbehalt einbezogen wird dagegen das Krankengeld, das eine private Krankenversicherung ihren Versicherten gewährt.
2. Streitig war in diesem Fall, ob auch das Krankengeld, das ein freiwilliges Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse bezieht, dem Progressionsvorbehalt unterliegt oder ob nicht vielmehr dieses Krankengeld wie das Krankengeld einer privaten Krankenkasse behandelt werden muss.
3. In dem Wortlaut des § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG ist keine grammatikalische Einschränkung des nach dem SGB V gewährten Krankengelds dahingehend enthalten, dass der Krankengeldberechtigte pflichtversichert sein muss. Der BFH sah zudem keine Notwendigkeit zu einer entsprechenden teleologischen Reduktion der Vorschrift.
4. Für die Annahme einer privaten Krankenversicherung "unter dem Dach der Sozialversicherung" sah der BFH ebenfalls keine gesetzlichen Anhaltspunkte, da das SGB V sowohl die Voraussetzungen für eine freiwillige Mitgliedschaft als auch deren Rechtsfolgen, nämlich den Leistungsbezug auf der einen und die Beitragspflicht auf der anderen Seite umfassend geregelt hat.
5. Genauso wenig konnte den BFH das Argument der fehlenden Schutzbedürftigkeit – und damit der fehlenden Anwendbarkeit der Schutzvorschriften des SGB V – überzeugen. Er ist der Ansicht, dass falls jemand die Möglichkeit hat, Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse zu werden und sich damit dem besonderen Schutz der gesetzlichen Krankenkasse zu unterwerfen und er sich dafür entscheidet, es unerheblich sei, dass er ggf. weniger schutzbedürftig ist.
6. Die Einbeziehung des von einem freiwillig in einer gesetzlichen Krankenkasse versicherten, selbstständig Erwerbstätigen bezogenen Krankengelds in den Progressionsvorbehalt verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz. Sie kann mit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gerechtfertigt werden, da es dem Gesetzgeber im Rahmen seines weitreichenden Gestaltungsspielraums bei der Auswahl des Steuergegenstands möglich ist, bestimmte Leistungen, die steuerpflichtige Einkünfte ersetzen und die vom Gesetzgeber zunächst als steuerfrei behandelt werden, in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen.
7. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt auch nicht darin, dass nur das Krankengeld einer gesetzlichen Krankenversicherung und nicht auch das einer privaten Versicherung in den Progressionsvorbehalt einbezogen ist. Der Gesetzgeber durfte differenzieren, weil sich die gesetzliche von der privaten Krankenversicherung sowohl durch die weitgehende Ausgestaltung als Pflichtversicherung in öffentlich-rechtlicher Organisationsform unterscheidet als auch durch die unterschiedlichen Grundstrukturen, auf denen die jeweiligen Versicherungen aufbauen.
8. Hinzu kommt der Aspekt der Administrierbarkeit, Kontrollierbarkeit und der Gewährleistung eines gleichmäßigen Gesetzesvollzugs, der es rechtfertigt, nur solche Ersatzleistungen in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen, die von einer überschaubaren Gruppe von öffentlich-rechtlichen Trägern von Sozialleistungen erbracht werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.11.2008 – X R 53/06