Entscheidungsstichwort (Thema)
Masseverbindlichkeiten geleisteter Sanierungsstunden
Leitsatz (amtlich)
Vergütungsansprüche für vor Insolvenzeröffnung geleistete Sanierungsstunden, die wegen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Insolvenzeröffnung fällig werden, sind keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO.
Normenkette
InsO §§ 38, 87, 108 Abs. 3, § 55 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 09.11.2010; Aktenzeichen 8 Ca 1513/10) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.11.2010 – 8 Ca 1513/10 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Vergütung vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geleisteter Sanierungsstunden als Masseverbindlichkeiten.
Der Kläger war seit 1985 bei der H. R. Apparate GmbH beschäftigt, über deren Vermögen am 01.09.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet und die Beklagte zur Insolvenzverwalterin bestellt wurde. Auf das Arbeitsverhältnis fand das Tarifwerk des Tarifgebiets I der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg Anwendung.
Am 13.12.2007 hatten die Tarifparteien für die H. R. Apparatebau GmbH eine „Betriebliche Sonderregelung gemäß Tarifvertrag zu betrieblichen Sonderregelungen für Arbeiter, Angestellte und Auszubildende der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet I und II vom 18.05.2002 in der Fassung vom 09.05.2007” (künftig: SR) nach der einleitenden Formulierung „gleichermaßen zur Abwendung einer akuten Gefährdung der wirtschaftlichen Bestandsfähigkeit der Firma und zur Sicherung der Arbeitsplätze” (Bl. 11 bis 15 d. A.) geschlossen. Nach § 3 SR entfielen die betriebliche Sonderzahlung und die tarifvertraglich vorgesehene zusätzliche Urlaubsvergütung für die Jahre 2008 bis 2010 und wurde die betriebliche Sonderzahlung für das Jahr 2007 in Raten gezahlt, nach § 5 SR fand das ERA-Tarifwerk bis 31.12.2010 keine Anwendung und entfielen die ERA-Strukturkomponenten. In § 4 SR war unter der Überschrift „Wöchentliche Arbeitszeit” bestimmt:
„Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit bleibt unverändert. Je nach Auftragslage können bis zu 4 Stunden wöchentlich ohne Entgeltausgleich mehr gearbeitet werden. Lage, Beginn und Ende sowie Verteilung der Arbeitszeiten regeln die Betriebsparteien. Die ohne Entgeltausgleich mehr gearbeiteten Stunden sind für jeden Beschäftigten gesondert zu erfassen und zu dokumentieren.”
In § 6 SR war unter der Überschrift „Beschäftigungssicherung” u.a. bestimmt:
„… Während der Laufzeit dieser betrieblichen Sonderregelung werden ausgesprochene betriebsbedingte Beendigungskündigungen nur wirksam, wenn ihnen der Betriebsrat nicht fristgerecht widerspricht. Scheiden Mitarbeiter während der Laufzeit dieser betrieblichen Sonderregelung aufgrund betriebsbedingter Beendigungskündigungen aus, wird die nach § 4 dieser betrieblichen Sonderregelung mehr geleistete Arbeitszeit für die letzten 12 Monate vor dem Ausscheiden monetär vergütet. …”
Der Kläger leistete in der Zeit von März bis August 2009 unstreitig zusätzliche Arbeitsstunden gemäß § 4 SR, denen rechnerisch ein Vergütungsanspruch von 934,46 EUR entsprach.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 28.11.2009 (Bl. 25/ 26 d. A.) aus betriebsbedingten Gründen zum 28.02.2010.
Mit der am 27.01.2010 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage hat der Kläger zuletzt nur noch den Vergütungsanspruch für die geleisteten Sanierungsstunden in Höhe von 934,46 EUR brutto geltend gemacht.
Er hat gemeint, dabei handle es sich um eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 InsO. Der Vergütungsanspruch für die zunächst unentgeltlich geleisteten Sanierungsstunden sei erst mit Ausspruch der Kündigung durch die Beklagte entstanden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger aus der Masse 934,46 EUR brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.12.2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Klage insoweit für unzulässig gehalten, da es sich um eine Insolvenzforderung handle.
Mit Urteil vom 09.11.2010 – 8 Ca 1513/10 –, auf dessen Tatbestand (Bl. 140 bis 142 d. A.) wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage als unzulässig abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der zuletzt noch geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Vergütung von Sanierungsstunden, die er vor Insolvenzeröffnung geleistet habe, sei eine Insolvenzforderung, die nicht im Wege der Leistungsklage gegen die Beklagte, sondern nur durch Anmeldung zur Tabelle geltend gemacht werden könne. Es handle sich nicht um Masseverbindlichkeiten. Die Abgrenzung zwischen Masse- und Insolvenzverbindlichkeiten erfolge danach, wann die den Ansprüchen zugrunde liegende Arbeitsleistung erbracht worden sei, auf die Fälligkeit des Vergütungsanspruches komme es ...