Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung der Betriebserwerberin für Entgeltforderung aus Freistellungsabrede bei Betriebsübergang in der Insolvenz
Leitsatz (amtlich)
Die Entgeltforderung bei einer Freistellungsabrede ist für die Zeit nach Insolvenzeröffnung Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Absatz 1 Nr. 2, 2. Alternative ZPO.
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz haftet die Betriebserwerberin nicht für die Abwicklung von Insolvenzforderungen und damit für Ansprüche, die bereits vor Insolvenzeröffnung entstanden sind; für Ansprüche aus dem Zeitraum von der Insolvenzeröffnung bis zum Betriebsübergang bleibt es bei der uneingeschränkten Haftungsnachfolge der Betriebserwerberin gemäߧ 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB.
2. Ansprüche aus einem nach der Insolvenzeröffnung fortbestehenden Arbeitsverhältnis sind nach § 108 Abs. 3 InsO Insolvenzforderungen, wenn es sich um solche „für” die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt; wird die Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschuldet, handelt es sich dagegen grundsätzlich um Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
3. Das gilt auch dann, wenn zwar keine Arbeitsleistung erbracht worden ist, aber ein Entgeltanspruch besteht; insoweit kommt es auf die Frage, ob eine Gegenleistung erbracht worden ist, nicht an.
4. Verzichtet die Arbeitgeberin in einer Übergangsvereinbarung je nach Antrag des Arbeitnehmers ab dem 55. Lebensjahr unter Fortzahlung des Entgelts auf die Arbeitsleistung und verzichtet der Arbeitnehmer im Gegenzug auf sein Recht zur Beschäftigung, ist dieser Vereinbarung nicht zu entnehmen, dass die Vergütungsansprüche (wie bei der Freistellungsphase des Blockmodells) auf einer Vorleistung des Arbeitnehmers im Rahmen seiner vorangegangenen Beschäftigung beruhen und eine konkrete Kongruenz zwischen einer bestimmten Anspar- und Arbeitsphase und einer darauf folgenden Freistellungsphase mit einem konkreten Wertguthaben besteht und insoweit eine Abweichung von den vorgenannten Grundsätzen geboten ist.
5. Unter § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO fallen alle Lohn- und Gehaltsansprüche, die aus der Beschäftigung von Arbeitnehmern nach der Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter erwachsen und zwar in der Höhe, die sich aus dem jeweiligen Arbeitsvertrag ergibt, sowie alle sonstigen Ansprüche, die sich aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergeben unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer tatsächlich eine Arbeitsleistung erbringt.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1, § 613a Abs. 1 S. 1; InsO § 55 Abs. 1 Nrn. 1, 2 Alt. 2, § 108 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Urteil vom 19.08.2010; Aktenzeichen 2 Ca 5562/09) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 19.08.2010 – 2 Ca 5562/09 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Die Parteien streiten im vorliegenden Berufungsverfahren um die Vergütungsansprüche des Klägers für den Monat Oktober 2008 sowie die Monate September 2009 bis Juli 2010.
Der am geborene Kläger war seit dem 01.01.1969 zunächst bei der R GmbH & Co KG beschäftigt. Er erreichte dort die Stellung als Zentraleinkäufer (Arbeitsvertrag Bl. 15 ff d. A.).
In einer Vereinbarung mit seinem damaligen Arbeitgeber vom 01.01.1981 (Bl. 18 d. A.) wurde folgendes festgelegt:
„1) Es wird vereinbart, dass Sie mit dem Monat, in dem Sie das Alter von 60 Jahren erreichen, Ihre Tätigkeit in unserem Unternehmen beenden.
2) Das Unternehmen verpflichtet sich dafür, 75 % der zuletzt gezahlten Jahresbezüge einschließlich Bruttogehalt, Tantieme oder ähnliche Vergütungen – errechnet aus dem Schnitt der letzten 3 Geschäftsjahre – in monatlichen Teilbeträgen bis zum Einsetzen der vertraglichen Pensionsleistungen weiter zu zahlen. Mindestens werden jedoch 100 % des letzten voll gezahlten Monatsgehalts gezahlt.
3) Sie haben Ihrerseits das Recht – mit einer Erklärungsfrist von 3 Monaten – auch schon vorzeitig, frühestens jedoch ab dem vollendeten 55. Lebensjahr aus dem aktiven Dienst auszuscheiden und die vorstehenden Leistungen in Anspruch zu nehmen. In diesem Falle ermäßigen sich die vorstehenden Sätze von 75 % bzw. 100 % – bei Alter 60 – pro Jahr um jeweils 5 %. Unvollständige Jahre werden anteilig gerechnet.”
Im weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses kam es zu einem Betriebsübergang nach § 613 a Abs. 1 BGB auf die W GmbH & Co KG.
Auf Grund der getroffenen Vereinbarung schied der Kläger vorzeitig mit Erreichen des 55. Lebensjahres aus dem aktiven Dienst zum 01.04.2005 aus und erhielt als Vergütung die vertraglich zugesagten Leistungen in Höhe von 3.975,00 – pro Monat.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 03.07.2008 – 92 IN 169/08 – wurde ein vorläufiges Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma W GmbH & Co KG eröffnet und Rechtsanwalt zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Die Gemeinschuldnerin betrieb zum damaligen Zeitpunkt neben ihrer Hauptverwaltung noch 39 Filialen, in denen sie Bekleidung veräußerte.
Mit Beschluss des A...