Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung durch Insolvenzverwalter bei unsubstantiierten Darlegungen zur Stilllegungsabsicht. Vergütungsansprüche für Freistellungsphase als Masseforderungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die in § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO enthaltene Vermutung der sozialen Rechtfertigung kommt nur zum Tragen, wenn der Insolvenzverwalter eine Betriebsänderung und die Existenz des Interessenausgleichs mit Namensliste darlegt und beweist. Auch im Rahmen des § 125 Abs. 1 InsO ist die Absicht einer Betriebsveräußerung mit dem Plan einer Betriebsstilllegung unvereinbar (Anschluss an BAG v. 26.4.2007 – 8 AZR 695/05).
2. Vergütungsansprüche für eine Freistellungsphase stellen im Rahmen des Insolvenzzeitraums Masseforderungen dar (Abgrenzung zur Freistellungsphase im Blockmodell der Arbeitsteilzeit – hierzu BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07).
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1; InsO § 55 Abs. 1 Nr. 2, § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 128 Abs. 2; BetrVG § 111 S. 3 Nr. 1; BGB § 611 Abs. 1, § 613a Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Urteil vom 07.07.2009; Aktenzeichen 4 Ca 4624/08) |
Tenor
1. Die Berufungen des Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 07.07.2009 – 4 Ca 4624/08 – werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten zu 1) und 2) zu je 1/2.
3. Die Revision wird für die Beklagte zu 2) zugelassen, soweit die Berufung hinsichtlich Ziffer 3. des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 07.07.2009 – 4 Ca 4624/08 – zurückgewiesen ist.
Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von dem Beklagten zu 1) als Insolvenzverwalter ausgesprochenen Kündigung, über das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses aufgrund Betriebsübergang mit der Beklagten zu 2) sowie über die Haftung der Beklagten zu 2) als Betriebserwerberin für Vergütungsansprüche nach Insolvenzeröffnung.
Der 63jährige Kläger war seit 1965 im Unternehmen der Firma W G & C K bzw. Rechtsvorgängern zuletzt als Merchandiser in der Zentrale am Standort A bzw. als Filialleiter der Filiale in A mit einem monatlichen Einkommen von durchschnittlich 4.680,– EUR brutto beschäftigt.
Für den Kläger gilt die mit der Rechtsvorgängerin der Insolvenzschuldnerin getroffene Übergangsregelung vom 01.02.1985, wonach der Kläger mit dem Monat, in dem er das Alter von 60 Jahren erreichte, seine Tätigkeit im Unternehmen beendete. Aufgrund dieser Regelung befand sich der Kläger im November 2008 seit fast 2 Jahren in der Freistellungsphase.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 03.07.2008 wurde ein vorläufiges Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und den Beklagten zu 1) zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt (Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 03.07.2008 – 92 IN 169/08 –). Die Gemeinschuldnerin betrieb zum damaligen Zeitpunkt neben ihrer Hauptverwaltung noch 39 Filialen, in denen sie Bekleidung veräußerte. Insgesamt beschäftigte die Gemeinschuldnerin ca. 959 Mitarbeiter, hiervon ca. 50 Mitarbeiter in der Hauptverwaltung in Aachen.
Am 17.09.2008 unterzeichneten der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin und der Beklagte zu 1) als vorläufiger Insolvenzverwalter ein mit „unternehmerische Entscheidung” überschriebenes Schreiben, in dem dargestellt wurde, dass am selben Tag zwischen der Geschäftsführung der Insolvenzschuldnerin und dem vorläufigen Insolvenzverwalter die unternehmerische Entscheidung getroffen worden sei, 16 besonders defizitäre Filialen bereits zum Ende September 2008 und den gesamten Betrieb bis spätestens zum 31.01.2009 dauerhaft stillzulegen. Der Gesamtbetriebsrat unterzeichnete einen Interessenausgleich am 26.09.2008.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss des Amtsgerichts Aachen am 01.10.2008 schlossen der Beklagte zu 1) als Insolvenzverwalter und der Gesamtbetriebsrat der Insolvenzschuldnerin einen Sozialplan unter dem 01.10.2008 bzw. 02.10.2008.
Nach der Insolvenzeröffnung wechselten ca. 800 Mitarbeiter zu der gebildeten Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft zum 01.10.2008; alle übrigen Mitarbeiter wurden ab dem 01.10.2008 freigestellt.
Am 16.10.2008 vereinbarte der Beklagte zu 1) als Insolvenzverwalter mit dem Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich verbunden mit einer Namensliste der zu kündigenden Mitarbeiter, auf der sich auch der Name des Klägers befindet.
Der Beklagte zu 1) kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 21.10.2008 zum 31.01.2009.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage vom 04.11.2008 – beim Arbeitsgericht Aachen eingegangen am 05.11.2008 –.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die arbeitgeberseitige Kündigung vom 21.10.2008 sei nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse sozial gerechtfertigt. Der Arbeitsplatz des Klägers sei nicht entfallen. Zum Zeitpunkt der Kündigung habe es erfolgversprechende Verhandlungen mit Investoren gegeben. Durch die Übernahme durch den indischen Textilunterne...