Prof. Dr. rer. pol. Claudia Rademacher-Gottwald
Leitsatz
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, freiwillig gezahlte Trinkgelder dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfen, wenn er keine Kenntnis über die Höhe der Trinkgelder hat und nicht in den Zahlungsvorgang involviert ist. In diesem Fall besteht auch keine Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers.
Sachverhalt
Die Klägerin war Inhaberin eines Unternehmens für Hygiene-Service und hatte mit mehreren Kaufhäusern und Autobahn-Raststätten Verträge über die Reinigung von Toilettenanlagen geschlossen. Für die Toilettenbenutzung durfte die -Klägerin kein Entgelt verlangen; die Vereinnahmung von Trinkgeldern durch das Reinigungspersonal oder die Klägerin selbst war jedoch zulässig. Die Klägerin nahm für die Reinigungskräfte zunächst zum Teil eine pauschale Lohnversteuerung gemäß § 40a Abs. 2 EStG vor. In den Folgejahren ging sie dazu über, als Vermittlungsstelle zwischen den Kaufhäusern/ Raststätten und den Reinigungskräften zu fungieren, wobei sie die Reinigungskräfte als selbstständige Gewerbetreibende ansah, obgleich eine vertragliche Festlegung von Arbeitsort und -zeit sowie der Ausführung der Reinigungsarbeiten vorlag, und eine organisatorische Eingliederung in den Betrieb gegeben war. Die von den Toilettenbenutzern erbrachten Trinkgelder standen nur dem Reinigungspersonal zu. Die Höhe dieser Beträge war der Klägerin nicht bekannt. Für die Trinkgeldzahlungen nahm die Klägerin keinen Lohnsteuerabzug vor. Demgegenüber erließ das Finanzamt einen Lohnsteuerhaftungsbescheid und forderte die Klägerin zur Nachzahlung der auf die Trinkgelder entfallenden Lohnsteuer auf. Nach Auffassung des Finanzamtes sind die Reinigungskräfte keine Gewerbetreibenden, sondern Arbeitnehmer. Die Trinkgelder seien steuerpflichtiger Arbeitlohn, den der Arbeitgeber dem Lohnsteuerabzug unterwerfen müsse.
Entscheidung
Das FG gab der Klage statt, stellte jedoch -abweichend von der Auffassung der Klägerin - fest, dass die Reinigungskräfte nicht als selbstständige Gewerbetreibende, sondern als Arbeitnehmer zu behandeln sind, weil sie weisungsgebunden und in die betriebliche Organisation des Unternehmens für Hygiene-Service eingegliedert sind. Bei den gezahlten Trinkgeldern handelt es sich um freiwillige Leistungen Dritter für die erbrachten Dienstleistungen der Reinigungskräfte. Aus Sicht des Arbeitgebers erfüllt sich damit seine arbeitsrechtliche Verpflichtung auf Lohnzahlung. Er muss die Trinkgelder jedoch nur dann dem Lohnsteuerabzug unterwerfen, wenn er die Höhe der Trinkgelder kennt (z. B. Angabe des Arbeitnehmers über die vereinnahmten Beträge) oder wenn er in den Zahlungsvorgang eingeschaltet ist (z. B. Verteilung der Trinkgelder an die Arbeitnehmer). Andernfalls entfällt die Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug und demzufolge auch die Lohnsteuerhaftung.
Hinweis
Mit seiner Entscheidung folgt das FG der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH, Urteil v. 20.7.2000, VI R 10/98, BFH/NV 2001 S. 35 und vom 24.10.1997, VI R 23/94, BStBl 1999 II S. 323). Trinkgelder gehören zu den Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit. Arbeitnehmer, die Trinkgelder bekommen, sind für die korrekte Versteuerung dieser Beträge selbst verantwortlich, wenn der Arbeitgeber die Höhe der Gelder nicht kennt und auch nicht am Zahlungsvorgang beteiligt ist.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil vom 09.07.2003, 8 K 5308/02 L