Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Bei einer zwischengeschalteten Personengesellschaft, die unmittelbar oder mittelbar an einer grundbesitzenden Gesellschaft beteiligt ist, ist als Anteil im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes – wie bei einer zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft – die Beteiligung am Gesellschaftskapital und nicht die sachenrechtliche Beteiligung am Gesamthandsvermögen maßgebend (Anschluss an Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 27.09.2017 – II R 41/15, BFHE 260, 94, BStBl II 2018, 667).
2. Die rückwirkende Anwendung des BFH-Urteils vom 27.09.2017 ‐ II R 41/15 (BFHE 260, 94, BStBl II 2018, 667) auf einen Anteilserwerb im Jahr 2012 verstößt nicht gegen Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes, da kein schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen in die frühere Rechtslage bestehen konnte.
3. Die grunderwerbsteuerrechtlichen Anzeigepflichten sind objektiver Natur und bestehen auch dann, wenn durch die Rechtsprechung ein bereits erfolgter Rechtsvorgang als steuerbar angesehen wird, bei dem der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Verwirklichung des Erwerbsvorgangs subjektiv nicht wusste, dass eine Anzeige zu erstatten ist.
4. Weist das Finanzgericht einen Billigkeitsantrag auf Festsetzung der Grunderwerbsteuer auf 0 € mangels Ermessensreduzierung auf Null ab und verpflichtet es die Finanzbehörde, den Billigkeitsantrag unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts neu zu bescheiden, ist der Steuerpflichtige insoweit unterlegen und kann im Revisionsverfahren seinen weitergehenden Antrag auf Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen auf 0 € weiter verfolgen.
Normenkette
§ 1 Abs. 3 Nr. 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 GrEStG, § 5, § 163 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, § 102, § 121 FGO, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Kapitalgesellschaft luxemburgischen Rechts, war als Kommanditistin zu 100 % am Gesellschaftsvermögen der G‐KG beteiligt. Mit privatschriftlichen Anteilskaufverträgen vom 9.2.2012 erwarben sie 94 % und die G‐KG 6 % der Anteile der GL, ebenfalls eine Kapitalgesellschaft luxemburgischen Rechts. Diese war Eigentümerin von Grundstücken im Inland. Der Vorgang wurde dem FA am 4.4.2019 angezeigt. Dieses ging davon aus, dass der Rechtsvorgang vom 9.2.2012 den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erfüllte. Es setzte gegen die Klägerin GrESt fest. Den Antrag der Klägerin, die GrESt aus sachlichen Billigkeitsgründen (§ 163) auf 0 EUR festzusetzen, lehnte das FA ab. Die hiergegen erhobenen Einsprüche blieben ohne Erfolg.
Die Klage vor dem FG, in der die Verfahren bezüglich der GrESt-Festsetzung und das Billigkeitsverfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, ist im Hauptantrag und im ersten Hilfsantrag, der auf eine Änderung der Steuerfestsetzung auf 0 EUR aufgrund einer Ermessensreduzierung des FA auf null gerichtet war, als unbegründet zurückgewiesen worden. Lediglich im zweiten Hilfsantrag – der Neubescheidung des Billigkeitsantrags unter Ausübung von Ermessen durch das FA – hatte die Klage Erfolg (Hessisches FG, Urteil vom 27.1.2022, 5 K 640/20, Haufe-Index 15134673).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der GrESt unterliegt und bei Erlass des GrESt-Bescheids die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war. Das FG hat auch zutreffend entschieden, dass die Steuer nicht aus Billigkeitsgründen aufgrund einer Ermessensreduzierung des FA mit 0 EUR festzusetzen war.
Hinweis
1. Streitig war im vorliegenden Fall, ob der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bei der mittelbaren Beteiligung einer Personengesellschaft an einer grundbesitzenden Gesellschaft erfüllt ist. Dies ist der Fall, wenn durch ein Rechtsgeschäft unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % (heute 90 %) der Anteile der grundbesitzenden Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden.
2. Wie der BFH bereits in seinem Urteil zum RETT-Blocker (BFH, Urteil vom 27.9.2017, II R 41/15BFH/NV 2018, 393, BStBl II 2018, 667) entschieden hat, kann auch der Anteilserwerb bei einer zwischengeschalteten Personengesellschaft zu einer mittelbaren Anteilsvereinigung i.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG führen, wenn dem Erwerber nach dem Anteilserwerb mindestens 95 % (heute 90 %) der Beteiligung am Gesellschaftskapital der Personengesellschaft zuzurechnen sind. Dabei ist bei einer zwischengeschalteten Personengesellschaft, die unmittelbar oder mittelbar an einer grundbesitzenden Gesellschaft beteiligt ist, als Anteil i.S.v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG – wie bei einer zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft – die Beteiligung am Gesellschaftskapital und nicht die sachenrechtliche Beteiligung am Gesamthandsvermögen maßgebend. Es kommt entscheidend auf die rechtlich begründeten Einflussmöglichkeiten auf die grundbesitzende Gesellschaft an.
3. Ausgehend von diesen Grundsätzen wurde durch die Anteilskaufverträge vom 9...