Leitsatz
1. Eine Steuerfestsetzung kann nur dann auf einem rückwirkenden Ereignis beruhen, wenn das rückwirkende Ereignis tatsächlich zu einer abweichenden Steuerfestsetzung geführt hat.
2. Aktiviert ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit in einer geänderten Bilanz nachträglich Forderungen und führt er die dadurch ausgelöste Gewinnerhöhung entsprechend seiner Satzung den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung zu, löst dies keine unterschiedlichen Zinsläufe aus.
Normenkette
§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 233a Abs. 1, Abs. 2, Abs. 2a, Abs. 3, Abs. 7 AO
Sachverhalt
Die Klägerin, ein VVaG, erfasste Erträge aus Genussrechten, die die Jahre 1995 und 1996 betrafen, aber erst in den Jahren 1996 bzw. 1997 gezahlt worden waren, im jeweils folgenden Jahr 1996 bzw. 1997.
Der Jahresabschluss des Streitjahrs 1996 wurde im April 1997 aufgestellt und im Mai 1997 festgestellt. Der Gewinn wurde i.H.v. 15 Mio. DM in die Gewinnrücklagen eingestellt. Der restliche Rohüberschuss wurde satzungsgemäß der Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) zugewiesen.
Während einer Außenprüfung beschloss die Klägerin, die Erträge aus den Genussrechten phasengleich zu erfassen. Anlass hierzu war das BFH-Urteil vom 18.12.2002, I R 11/02 (BFH/NV 2003, 700, BFH/PR 2003, 219). Der berichtigte Jahresabschluss 1996 wurde im November 2003 festgestellt. Die Dotierung der Gewinnrücklagen blieb unverändert i.H.v. 15 Mio. DM bestehen. Die RfB erhöhte sich dadurch. Da gem. § 21 Abs. 2 KStG 1996 RfB unter bestimmten, hier vorliegenden Voraussetzungen gewinnmindernd zu berücksichtigen sind, war die Bilanzänderung insgesamt erfolgsneutral.
Das FA änderte nach der Außenprüfung aufgrund einer nicht streitbefangenen Gewinnerhöhung den KSt-Bescheid für 1996 und setzte im Jahr 2004 gegen die Klägerin eine höhere KSt sowie gleichzeitig Zinsen (gem. § 233a AO) fest. Es ging dabei zunächst fiktiv von einer infolge Einbeziehung der Genussrechtszinsen erhöhten festgesetzten KSt aus. In der Erhöhung der RfB sah das FA ein rückwirkendes Ereignis mit der Folge, dass gem. § 233a Abs. 7 AO der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs zu laufen begonnen habe, in dem die geänderte Handelsbilanz 1996 festgestellt wurde.
Die anschließende Klage wies das FG Hamburg mit Urteil vom 19.11.2008, 6 K 173/07 (Haufe-Index 2119663, EFG 2009, 542) ab.
Entscheidung
Der BFH gab der Klage hingegen statt. Auch der BFH nahm im Grundsatz zwar ein rückwirkendes Ereignis an, das grundsätzlich einen besonderen Zinslauf auslösen könne. Jedoch setze das voraus, dass das rückwirkende Ereignis – hier die geänderte Bilanz – auch tatsächlich zu einer veränderten Steuerfestsetzung führe. Davon aber könne hier keine Rede sein, weil die betreffenden Genussrechtszinsforderungen in die erhöhte RfB eingegangen seien.
Hinweis
1. Die Berechnung von Erstattungs- oder – so hier – von Nachzahlungszinsen erweist sich immer wieder als ein recht schwieriges Unterfangen, verlangen die einschlägigen Regelungen in § 233a AO dem Rechtsanwender nach Grund und Höhe der Zinsberechnung doch einiges an Vertracktheit ab. Als besonders deutungsanfällig sind dabei Sachzusammenhänge, die auf einem rückwirkenden Ereignis beruhen, was zu der Sonderberechnung nach Maßgabe von § 233a Abs. 2a AO führt:
Danach beginnt der Zinslauf bei einem solchen "rückwirkenden" Ereignis abweichend von § 233a Abs. 2 S. 1 und 2 AO 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das betreffende Ereignis eingetreten ist.
Das aber setzt wiederum voraus, dass das rückwirkende Ereignis auch tatsächlich zu einer abweichenden Steuerfestsetzung geführt hat. Fehlt es daran oder gründet eine etwaige abweichende Steuerfestsetzung in anderen Ursachen, die lediglich "zufällig" mit einem rückwirkenden Ereignis zeitlich gleichlaufen, bietet § 233a Abs. 2a AO keine Handhabe für die Zinsfestsetzung mit dem besonderen Zinslauf.
2. So lagen die Dinge auch im Urteilsfall, in dem ein VVaG seine Bilanz geändert, darin nachträglich Forderungen ausgewiesen und den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung (gem. § 21 Abs. 2 KStG) zugeführt hatte. Die nachträglich korrigierte Bilanz bot damit kein einschlägiges "Zinsereignis", auch wenn ihre Einreichung beim FA mit Änderungen infolge einer durchgeführten Außenprüfung zusammentrafen.
3. Fazit: Auch bei Vorliegen eines rückwirkenden Ereignis ist der Zinslauf nicht schematisch nach Maßgabe des § 233a Abs. 2a AO zu berechnen. Vielmehr muss genau geprüft werden, ob und inwieweit das rückwirkende Ereignis sich überhaupt in einer abweichenden Steuerfestsetzung niedergeschlagen hat.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.02.2010 – I R 52/09