Leitsatz
Es besteht weder eine rechtliche noch eine sittliche Verpflichtung, eine von der Krankenkasse nicht bezahlte naturheilkundliche Krebsnachbehandlung in Höhe von rund 700.000 DM für einen krankenversicherten Elternteil zu tragen.
Normenkette
§ 33 EStG
Sachverhalt
Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der 1922 geborene Vater des Klägers verfügte im Streitjahr 1996 über monatliche Renteneinkünfte von 2.147 DM. Er war Eigentümer zweier nebeneinander liegender Häuser mit einer Grundstücksfläche von insgesamt rd. 1.000 qm. Das ältere der beiden Häuser wurde von den Klägern unentgeltlich zu Wohnzwecken genutzt. Auf dem zweiten Grundstück wurde 1981 mit einem Kostenaufwand von rd. 223.000 DM ein Einfamilienhaus errichtet. Es wurde vom Vater und dessen Lebensgefährtin, teilweise aber auch von den Klägern und ihrem Sohn bewohnt.
1995 erkrankte der Vater an einem Darmtumor. Zur Nachbehandlung ließ er ab August 1995 eine Protease-Inhibitor-Therapie durchführen. Für diese Maßnahme entstanden ab 1995 Kosten in Höhe von mehr als 700.000 DM, die von den Klägern getragen und zum Teil fremdfinanziert wurden. Der Vater ist im November 2000 an einer anderen Erkrankung gestorben. Vor seinem Tod hat er die beiden Grundstücke auf den Kläger übertragen.
Die in der Einkommensteuererklärung für 1995 erstmals geltend gemachten Aufwendungen für die Behandlung des Vaters von insgesamt 103.704 DM erkannte das FA als außergewöhnliche Belastung an, nicht hingegen die im Streitjahr 1996 beanspruchten weiteren Aufwendungen in Höhe von 215.028,32 DM. Klage und Revision blieben erfolglos.
Entscheidung
Es bestehe weder eine rechtliche noch eine sittliche Verpflichtung, die von den Krankenkassen nicht getragene Heilbehandlung zu bezahlen. Davon abgesehen hätte der Vater hierfür zunächst sein eigenes Vermögen einsetzen müssen. Karin Heger
Hinweis
Krankheitskosten für den Steuerpflichtigen selbst behandelt der BFH stets als außergewöhnliche Belastung, weil er davon ausgeht, dass sie aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig anfallen. Eine Prüfung, ob die Krankheit durch eigenes Verschulden – etwa eine ungesunde Ernährungsweise – selbst verursacht wurde oder ob der geltend gemachte Arztbesuch tatsächlich erforderlich war, findet nicht statt.
Werden Krankheitskosten für nahe Angehörige getragen, kommt ein Abzug als außergewöhnliche Belastung dagegen nur dann in Betracht, wenn der Steuerpflichtige aus rechtlichen, sittlichen oder tatsächlichen Gründen hierzu verpflichtet ist. Eine tatsächliche Verpflichtung kommt bei Aufwendungen zugunsten Dritter in der Regel nicht in Betracht.
Eine rechtliche Verpflichtung zum Tragen von Krankheitskosten gesetzlich unterhaltsberechtigter Personen ist als Sonderbedarf (§ 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB) denkbar und kann auch die Kosten einer Heilbehandlung umfassen. Verfügt der Unterhaltsberechtigte über eine Krankenversicherung, wird diese Voraussetzung jedoch allenfalls in Ausnahmefällen greifen, denn in der Regel wird die Krankenkasse die notwendigen Heilkosten abdecken. Von den Zivilgerichten bejaht wurde z.B. eine rechtliche Verpflichtung, die von den Krankenkassen nicht vollständig bezahlte kieferorthopädische Behandlung eines minderjährigen Kindes zu tragen.
Eine rechtliche Verpflichtung kommt aber nur dann in Betracht, wenn der Unterhaltsempfänger nicht über ausreichend eigene Einkünfte und Vermögen verfügt, wozu grundsätzlich auch ein selbst genutztes Einfamilienhaus gehört. Einkünfte und die Substanz seines Vermögens sind vorrangig für die Krankenbehandlung einzusetzen.
In der Regel besteht auch keine sittliche Verpflichtung, eine von den Krankenkassen nicht bezahlte zusätzliche Nachbehandlung zu bezahlen. Zum einen setzt eine derartige Pflicht prinzipiell ebenfalls voraus, dass der Unterhaltsempfänger über keine ausreichenden Einkünfte oder eigenes Vermögen verfügt. Darüber hinaus würde es von der Gesellschaft nicht als anstößig empfunden, wenn ein erwachsenes Kind es ablehnte, eine von den Krankenkassen nicht bezahlte Heilbehandlung zu tragen, insbesondere wenn es sich – wie im Streitfall – um eine naturkundliche Krebsnachbehandlung in der Größenordnung von rd. 700.000 DM handelt. Verfügen Unterhaltsempfänger über eine Krankenversicherung, wird eine sittliche Pflicht von Angehörigen, zusätzliche krankheitsbegleitende Kosten zu tragen, nur selten in Betracht kommen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 12.12.2002, III R 25/01