Entscheidungsstichwort (Thema)
Grenzbetrag ist bei Behinderten der Jahresbetrag, wenn die Behinderung im ganzen Jahr besteht
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Frage, ob volljährige behinderte Kinder außer Stande sind, sich selbst zu unterhalten, ist durch den Vergleich des gesamten Lebensbedarf des behinderten Kindes mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln zu beurteilen.
2. Der Vergleich ist für das gesamte Kalenderjahr (= Veranlagungszeitraum) durchzuführen, wenn die Kindergeldberechtigung dem Grunde nach in diesem Zeitraum besteht. Wie sich die Kosten und verfügbaren Mittel innerhalb dieses Zeitraums verteilen, ist unerheblich.
3. § 32 Abs. 4 Satz 6 und 7 EStG gehören zu den Regeln für die Voraussetzung der Kindergeldgewährung dem Grunde nach und besagen nicht, dass die Fähigkeit der behinderten Kinder zum Selbstunterhalt für jeden Monat gesondert zu prüfen ist.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
Streitjahr(e)
1996, 1997, 1998
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung des Kindergeldes für die am 26. Mai 1968 geborene Tochter W der Klägerin. Die Tochter ist seelisch behindert. Laut Schwerbeschädigtenausweis des Versorgungsamtes O vom 16. Juli 1997 beträgt der Grad der Behinderung seit dem 14. April 1997 50 v.H. Die Tochter lebte zeitweise in Heimen. Am 28. August 1996 zog sie aus dem Übergangswohnheim des Landkreises E in den Haushalt der Klägerin.
Der Beklagte zahlte für die Tochter seit Juli 1995 Kindergeld. Ab 1. April 1995 erhielt W eine Erwerbsunfähigkeitsrente, und zwar für die Zeit vom 1. April 1995 bis zum 30. September 1996 in Form einer Nachzahlung in Höhe von 26.267 DM und ab 1. Oktober 1996 monatlich 1.524,16 DM. Davon erfuhr der Beklagte anlässlich einer Überprüfung der Voraussetzungen für die weitere Gewährung des Kindergeldes. Er war nunmehr der Ansicht, die Tochter sei ab Zufluss der Rentennachzahlung im August 1996 in der Lage, ihren Unterhalt selbst zu bestreiten. Er hob die Festsetzung des Kindergeldes von diesem Monat an mit Bescheid vom 17. Januar 2000 auf und forderte die in der Zeit von August 1996 bis Dezember 1998 gezahlten Beträge in Höhe von 6.280 DM zurück.
Gegen diesen Bescheid wandte sich die Klägerin mit dem Einspruch. Zur Begründung trug sie vor: Den Rentenbescheid und die Nachzahlung habe der Landkreis E erhalten. Sie habe erst von beidem erfahren, als ihre Tochter am 28. August 1996 zu ihr gezogen sei.
Der Rechtsbehelf blieb erfolglos. Der Beklagte blieb auch unter Beachtung der Rechtsprechung des BFH zur Berechnung des Grundbedarfs und des behinderungsbedingten Mehrbedarfs der Behinderten (BFH BStBl II 00, 79) bei seiner Ansicht, die Tochter der Klägerin könne sich selbst unterhalten.
Dagegen richtet sich die Klage. Zur Begründung trägt die Klägerin vor: Der Bedarf des Kindes liege auch ab August 1996 über ihren Einkünften und Bezügen. Der Grundbedarf (12.000 DM + Pauschale gemäß § 33 b Absatz 3 Satz 3 EStG in Höhe von 7.200 DM) liege mit 19.200 DM über der Leistungsfähigkeit der Tochter mit 16.619,92 DM (Erwerbsunfähigkeitsrente = 18.289,92 DM – 200 DM Werbungskosten – 360 DM Kapitalanteil – 1.110 DM).
Die Klägerin hat ursprünglich beantragt, den Bescheid vom 17. Januar 2000 in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 20. September 2000 aufzuheben. Während des Klageverfahrens hat der Beklagte diesen Bescheid durch Bescheid vom 26. April 2001 und diesen wiederum durch Bescheid vom 6. November 2001 geändert. Im ersten Änderungsbescheid gewährte er zusätzlich für den Monat September 1996 das Kindergeld und stufte die Rückzahlung auf 6.080 DM zurück. Im zweiten Änderungsbescheid hob er die Festsetzung des Kindergeldes ab Oktober 1996 auf und minderte den Rückzahlungsbetrag auf 5.880 DM, weil die Tochter erst ab Oktober 1996 die Rentennachzahlung für August und September 1996 erhalten habe. 7.281,50 DM der Nachzahlung habe das Arbeitsamt N erhalten. Der Rest sei dem E für die Kosten der Heimunterbringung verblieben. Somit sei die Tochter ab Oktober 1996 in der Lage gewesen, selbst für ihren Unterhalt aufzukommen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 6. November 2001 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bleibt bei seiner Ansicht, die er im letzten Änderungsbescheid zum Ausdruck gebracht hat.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat teilweise Erfolg.
Der Klägerin steht als Kindergeldberechtigter das Kindergeld für das gesamte Jahr 1996 zu. Ob die zugesprochenen Beträge der Klägerin oder dem Träger der Sozialhilfe auszuzahlen sind, bleibt einer gesonderten Entscheidung des Beklagten vorbehalten. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Kindergeld wird für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, gewährt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, §§ 63 Absatz 1 Satz 2, 32 Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 EStG. Nach der Rechtsprechung des BFH kann ein behin...