vorläufig nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerberaterprüfung: Recht des einzelnen Prüflings auf Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit als objektiv-rechtliches Gebot
Leitsatz (redaktionell)
- Verzögert sich der Beginn der Bearbeitung einer Klausur in der Steuerberaterprüfung um 1.15 h, so kann darin u. U. ein Verfahrensfehler liegen. Dieser wird aber durch eine Verlängerung der Bearbeitungszeit um 15 Minuten geheilt.
- Als Ausgleich für Störungen während der Aufsichtsarbeiten kann die Prüfungsbehörde Kompensationsmaßnahmen ergreifen, z. B. die Gewährung einer Schreibverlängerung.
- Bei Prüfung der Kompensationsmaßnahmen ist zu beachten, dass ein „mathematischer Ausgleich” in der Weise, dass die Verlängerung der Bearbeitungszeit der Dauer der Störung entsprechen muss, nicht zwingend geboten ist. Für die Bemessung der Ausgleichsmaßnahme kommt es vielmehr auf Art und Intensität der Beeinträchtigung an.
- Eine Schreibzeitverlängerung von 15 Minuten führt nicht zu einer unzulässigen überlangen Prüfungsdauer.
- Es gibt im Prüfungsrecht kein subjektives öffentliches Recht des Prüflings auf Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit als objektiv-rechtliches Gebot.
- Durch Täuschungshandlungen anderer Prüfungsteilnehmer erleidet die Chancengleichheit eines Prüflings keinen Schaden, solange sein eigenes Prüfungsverfahren korrekt verläuft und seine eigenen Leistungen ordnungsgemäß bewertet werden.
Normenkette
DVStB § 18 Abs. 2, §§ 19, 22
Streitjahr(e)
2007
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die ordnungsgemäße Durchführung einer Klausur im Rahmen der Steuerberaterprüfung 2007.
Der Kläger nahm mit seinem persönlich zweiten Versuch an der Steuerberaterprüfung 2007 teil. Der schriftliche Teil der Prüfung fand am 9., 10. und 11. Oktober 2007 in der Stadthalle Braunschweig statt. Zu der ersten Klausur „Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete” waren 275 Bewerber erschienen. Die Prüfung sollte ursprünglich um 9:00 Uhr beginnen. Vor dem Beginn der Prüfung wurden die Erschienenen über die Vorschriften der §§ 19 – 21 und 23 der Durchführungsverordnung zum Steuerberatungsgesetz (DVStB) belehrt. Danach begannen Mitarbeiter des Beklagten mit dem Austeilen der Klausur. Dabei wurden diejenigen Kandidaten, die bereits eine Klausur empfangen hatten, angewiesen, diese verdeckt auf ihrem Tisch liegen zu lassen. Nachdem alle vorhandenen Klausuren ausgeteilt worden waren, stellten die Mitarbeiter des Beklagten fest, dass aufgrund eines Fehlbestandes nicht sämtliche Prüflinge ein Klausurexemplar erhalten hatten. Sodann erging die Anweisung an diejenigen Kandidaten, die bereits eine Klausur erhalten hatten, diese weiterhin verdeckt auf ihrem Tisch liegen zu lassen. Im Übrigen wurde den Kandidaten gestattet, ihren zugewiesenen Platz und gegebenenfalls auch den Prüfungsraum zu verlassen. Derweil ließen die Mitarbeiter des Beklagten weitere Exemplare der Klausur drucken. Diese wurden dann nach gut einer Stunde an die übrigen Bewerber verteilt. Als Beginn der Bearbeitungszeit wurde 10:15 Uhr festgelegt. Den Kandidaten wurde aufgrund der mit dem verzögerten Beginn verbundenen eventuellen psychischen Beeinträchtigung bzw. zum Ausgleich etwaiger sonstiger durch die Verzögerung entstandenen Nachteile eine Verlängerung der Bearbeitungszeit um 15 Minuten gewährt. Damit endete die Bearbeitungszeit allgemein um 16:30 Uhr.
Nach der gem. § 22 DVStB angefertigten Niederschrift über die schriftliche Steuerberaterprüfung 2007 gab der Kandidat S vor Bearbeitungsbeginn zu Protokoll, er habe gehört, wie sich Kandidaten vor dem Prüfungssaal über Klausurinhalte unterhalten hätten („Thema Vollstreckung komme in der Klausur vor”). Die Kandidaten M und B kündigten für den Fall des Nichtbestehens der Prüfung Beschwerden wegen der verzögerten Ausgabe der Aufgabetexte und der damit verbundenen Unruhe an. Weitere Hinweise oder Beschwerden seitens der Kandidaten sind in der Niederschrift nicht vermerkt.
Mit Bescheid vom 18. Dezember 2007 setzte der Beklagte durch den Prüfungsausschuss III die Prüfungsleistungen des Klägers hinsichtlich der schriftlichen Aufsichtsarbeiten mit der Gesamtnote 4,66 fest. Dabei wurde die Klausur Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete mit 5,0 benotet. Dementsprechend wurde dem Kläger mitgeteilt, dass er die Steuerberaterprüfung gem. § 25 Abs. 2 DVStB nicht bestanden habe.
Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage. Er ist der Ansicht, dass die Festsetzung seiner Gesamtnote mit 4,66 insoweit rechtswidrig sei, als darin die Prüfungsleistung in der Klausur „Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete” mit der Note 5,0 Eingang gefunden habe. Die Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung ergebe sich aus dem Umstand, dass der Beklagte seine Geheimhaltungspflicht im Rahmen der streitgegenständlichen Klausur nicht erfüllt habe und somit gegen den durch Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Chancengleichheit unter den Prüflingen verstoßen habe. So...