Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzpflicht des Unternehmensberaters gegenüber dem Geschäftsführer der beauftragenden GmbH wegen Pflichtverletzung bei Sanierungsbegutachtung nach IDW S6 - Standard
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen einer Sanierungsbegutachtung nach IDW S6 - Standard gehört es zu den Kernanforderungen an den Gutachter, in einer Form auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen, die geeignet ist, die verantwortlichen Personen zur Einleitung der insolvenzrechtlich erforderlichen (Eil-)Maßnahmen anzuhalten.
2. Ein Verweis des Gutachters auf die Nichterbringung von Rechts- und Steuerberaterleistungen, weil der beauftragte Gutachter weder Rechtsanwalt noch Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ist, befreit diesen nicht von den zur Erfüllung der Pflichten nach IDW S6 zu treffenden Feststellungen zur Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung.
3. Der Geschäftsführer kommt aufgrund § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. mit der Frage der Insolvenzreife der GmbH in gleicher Weise in Berührung wie die GmbH als Auftraggeber selbst, weshalb der Begutachtungsvertrag nach IDW S6 - Standard Schutzwirkung zugunsten des Geschäftsführers entfaltet.
4. Ein Sanierungsberater mit spezifischen Fachkenntnissen nimmt bei umfassender Beauftragung nach IDW S6 - Standard ein besonderes Vertrauen in Anspruch, wie es wirtschaftsprüfenden Professionen mit besonderem gesetzlich geregelten Haftungsregime entgegengebracht wird. Eine klauselmäßige Beschränkung dessen Haftung für eine Verletzung der zentralen Hauptpflichten auf grobe Fahrlässigkeit neben einer höhenmäßigen Beschränkung benachteiligt den Auftraggeber unbillig und ist wegen Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben gem. § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB unwirksam.
Normenkette
GmbHG a.F. § 64
Verfahrensgang
LG Würzburg (Aktenzeichen 61 O 16/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 19.07.2022, Az. 61 O 16/19, abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 211.107,17 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.02.2019 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden zwischen den Parteien aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrags leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 425.214,34 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über Ansprüche wegen Pflichtverletzung aus einem Sanierungsberatervertrag.
1. Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der B GmbH (im Folgenden B). Diese gehörte zusammen mit der X GmbH und der Y GmbH zur X-Firmengruppe (nachfolgend X). Geschäftsführer der B war Herr H.
Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der D GmbH (nachfolgend D). Diese beriet kleine und mittlere Unternehmen in Krisensituationen.
Im Frühjahr 2013 befand sich die X in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Auf Initiative eines Kreditgebers (U Bank AG, vormals V Bank AG, nachfolgend bezeichnet als V) sollten die wirtschaftlichen Fortführungsmöglichkeiten der X durch eine externe Begutachtung festgestellt werden. Hierzu legte die D am 25.04.2013 zunächst eine "Projektskizze" vor (Anlage K2) betreffend die Erstellung eines Sanierungsgutachtens in Anlehnung an den IDW S6 Standard (Stand 04.10.2012). Auf der letzten Seite der Projektskizze befindet sich unmittelbar über den Unterschriften folgende Bestimmung:
Die D erbringt keine Rechts- oder Steuerberatungs- oder Wirtschaftsprüfungsleistungen. Sie wird alles unternehmen, um die beschriebenen Aufgaben erfolgreich zu erfüllen und haftet für vorsätzliche und grobe Fahrlässigkeit ihrer Berater für Vermögensschäden bis zu einer Höhe von 1 Mio. EUR. Die D verpflichtet sich, alle Informationen über den Auftraggeber und dessen Unternehmen, von denen die Berater im Rahmen des Projekts Kenntnis erhalten, streng vertraulich zu behandeln.
Die B beauftragte die D daraufhin am 06.05.2013 mit der Erstellung eines Sanierungsgutachtens entsprechend dem in der Projektskizze vom 25.04.2013 beschriebenen Auftragsumfang. Durch die Gutachterin wurde am 06.06.2013 eine Fortbestehensprognose bereitgestellt und am 29.07.2013 eine abschließende Fortführungsprognose für die X vorgelegt (Anlage K 3). In dieser kam die D zu dem Ergebnis, dass eine drohende Zahlungsunfähigkeit aufgrund einer Liquiditätslücke von 1,3 Mio. EUR nur durch Sanierungsbeiträge der wirtschaftlich an der X Beteiligten verhindert werden könne. Dabei handelte es sich in erster Linie um die VM GmbH (nachfolgend VM) mit ihrem Geschäftsführer Herrn O und die V als Kreditgeber. In Verbindung mit weiteren empfohlenen Umstrukturierungsmaßnahmen kam die D zu dem Schluss, dass bei entsprechender Prolo...