Leitsatz (amtlich)
Sagt der Steuerberater dem Mandanten hinsichtlich einer bestimmten steuerrechtlichen Fragestellung zu, die Entwicklung in einem bestimmten Rechtsgebiet (hier: Pflicht des selbständigen Familienhelfers zur Entrichtung von Umsatzsteuer) zu beobachten, und hat er aufgrund dessen Anlass anzunehmen, es könnte zu einer zeitnahen Änderung einer bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung kommen, ist er unter Umständen verpflichtet, auch ohne ausdrückliche Weisung des Mandanten Einspruch gegen ergangene Steuerbescheide einzulegen oder zumindest vor Ablauf der Einspruchsfrist mit diesem Rücksprache zu halten. In diesem Zusammenhang kann er verpflichtet sein, auch Periodika internationaler Natur im Blick zu behalten.
Verlässt sich der Mandant aufgrund vorhergehender Absprachen auf eine solche Handlungsweise des Steuerberaters, erlangt er die gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebliche Kenntnis erst dann, wenn er erfährt, dass die erwartete Einlegung des Einspruchs unterblieben ist.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, §§ 195, § 199 ff.; UStG § 4 Nrn. 14, 21
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 05.08.2010; Aktenzeichen 19 O 281/09) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 5.8.2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 19. Zivilkammer des LG Hannover wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten, ihren früheren Steuerberater, auf Schadensersatz wegen von ihr zu Unrecht entrichteter Umsatzsteuer in Anspruch.
Die Klägerin ist von Beruf selbständige Familienhelferin. Sie wurde in dem hier maßgeblichen Zeitraum - ebenso wie ihr zwischenzeitlich von ihr geschiedener Ehemann - in steuerlichen Angelegenheiten von dem Beklagten betreut. Das Steuerberatungsmandat umfasste neben der allgemeinen steuerlichen Beratung auch die Buchführung, die Erstellung der Jahresabschlüsse mittels Einnahmen-Überschuss-Rechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG sowie die Anfertigung der Steuererklärungen. Die Klägerin führte im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit in den Jahren 2000 bis 2004 keine Umsatzsteuer ab. Im Juni 2005 fand eine Umsatzsteuersonderprüfung durch das Finanzamt H.-Land I bei der Klägerin statt, in deren Folge das Finanzamt am 25.7.2005 (für das Jahr 2000) und am 8.8.2005 (für die Jahre 2001 bis 2004) Umsatzsteuerbescheide über Steuernachzahlungen in Höhe insgesamt 12.233,81 EUR erließ. Ob die Klägerin den Beklagten damit beauftragte, Rechtsbehelfe gegen die Bescheide einzulegen, ist zwischen den Parteien streitig. In dem Schreiben des Beklagten vom 11.8.2005 an die Beklagte heißt es, die Bescheide seien von ihm geprüft worden und nicht zu beanstanden (Bl. 13 d.A.). Ob dem Schreiben die in Rede stehenden Steuerbescheide, die an den Beklagten als Bevollmächtigten der Klägerin adressiert gewesen waren, beigefügt waren, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls sagte der Beklagte der Klägerin ggü. zu, hinsichtlich der Entwicklung der Rechtsprechung und Literatur in diesem Bereich "am Ball" zu bleiben. Die Klägerin zahlte in der Folge auf die Umsatzsteuerschuld 11.875,68 EUR, den Differenzbetrag hatte sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt erbracht. Der Beklagte legte gegen die Steuerbescheide innerhalb der gesetzlichen Frist keinen Einspruch ein, weshalb diese in Bestandskraft erwuchsen. Am 18.8.2005 erging ein - im März 2006 im Bundessteuerblatt und in der Zeitschrift "DStRE" (Deutsches Steuerrecht) veröffentlichtes - Urteil des BFH, wonach dieser seine bisherige Rechtsprechung zur Umsatzsteuerpflicht von eng mit der Sozialfürsorge verbundenen Berufsgruppen änderte (V R 71/03, BFHE 211, 543 ff.). Der Versuch des Beklagten, mit Schreiben vom 22.12.2005 trotz Rechtskraft noch eine Änderung der Umsatzsteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2004 zu erwirken (vgl. Bl. 86 d.A.), blieb erfolglos. Das Finanzamt lehnte mit Bescheid vom 12.1.2006 eine Abänderung mit der Begründung ab, die Anträge seien unzulässig (Bl. 74 d.A.). Eine im Jahr 2007 vor dem Niedersächsischen FG erhobene Klage (5 K 435/07) nahm der Beklagte mit Schriftsatz vom 10.2.2008 zurück (Bl. 72 d.A.); das Verfahren wurde daraufhin gem. § 72 Abs. 2 FGO eingestellt (Bl. 71 d.A.). Die Klägerin erfuhr von dem Verfahren erst durch den Kostenbeschluss des FG vom 31.1.2008.
Ab dem Veranlagungszeitraum 2005 entrichtet die Klägerin keine Umsatzsteuer mehr.
Mit Schreiben vom 7.4.2008 (Bl. 10 f. d.A.) wandte sich der Beklagte an seine Haftpflichtversicherung, die G. Versicherungs-AG, die jedoch eine Regulierung des Schadens ablehnte. Er zahlte in der Folge jedoch - aus welchem Grund ist zwischen den Parteien streitig - freiwillig einen Betrag i.H.v. 5.000 EUR an die Klägerin.
Diese hat mit der am 18.11.2009 bei Gericht eingegangenen Klage gegen den Beklagten einen Betrag i.H.v. 6.875,68 EUR (die Differenz zwischen den von ihr im August 2005 gezahlten 11.875,68 EUR...