Leitsatz
Die Änderung des der Organträgerin (OT) zuzurechnenden Einkommens der Organgesellschaft (OG) stellt einen Lebenssachverhalt dar, dem steuerrechtliche Bedeutung für die Besteuerung von Einkommensteilen der OT zukommt. Dieses Ereignis entfaltet Wirkung für die Vergangenheit, da der OT das Einkommen der OG nach der zwingenden Zurechnungsnorm des § 14 KStG in dem Kalenderjahr zuzurechnen ist, in dem die OT das Einkommen bezogen hat. Folglich sind die Voraussetzungen für die Änderung der gegen die OT ergangenen Steuerbescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (rückwirkendes Ereignis) erfüllt.
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH und OT einer weiteren GmbH als OG. Im Jahr 1999 ging dem beklagten Finanzamt eine "Mitteilung für den Organträger 1989" eines anderen Finanzamts zu, aus der sich ergab, dass das der Klägerin als OT im Jahr 1989 zuzurechnende Einkommen der OG um ca. 250.000 DM geringer anzusetzen sei. Grund für diese Mitteilung war, dass die OG erfolgreich die im Jahr 1995 getroffenen Feststellungen der Betriebsprüfung des anderen Finanzamts angegriffen hatte. Vor diesem Hintergrund beantragte die OT, den formell bestandskräftigen Körperschaftsteuerbescheid für das Jahr 1989 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern und das mitgeteilte geringere Einkommen der OT zuzurechnen. Dies wurde vom Finanzamt mit der Begründung abgelehnt, die Voraussetzungen für eine Änderung seien wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht gegeben. Der hiergegen gerichtete Einspruch der OT hatte keinen Erfolg. Insbesondere ist das beklagte Finanzamt der Argumentation der Klägerin nicht gefolgt, dass gem. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginne, in dem das rückwirkende Ereignis eintrete, so dass im Ergebnis keine Festsetzungsverjährung gegeben sei. Dies begründet das Finanzamt damit, dass die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO überhaupt nicht vorlägen.
Entscheidung
Nach der Auffassung des Finanzgerichts ist die Klage der OT begründet. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Unter einem "Ereignis" im Sinne der Vorschrift ist jeder rechtlich bedeutsame Vorgang zu verstehen. Hierzu gehören neben solchen mit ausschließlich rechtlichem Bezug (z.B. Rechtsgeschäfte und Verwaltungsakte) auch tatsächliche Lebensvorgänge. Für eine Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ferner erforderlich, dass es sich um einen Vorgang handelt, der Wirkungen für die Vergangenheit auslöst, nachdem der Steueranspruch entstanden oder, im Falle der Änderung des Steuerbescheides, nachdem dieser ergangen ist. Dabei reicht es nicht aus, dass das spätere Ereignis den nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalt anders gestaltet; vielmehr muss sich die Änderung darüber hinaus steuerlich in die Vergangenheit auswirken und zwar in der Weise, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall in der geänderten Einkommensermittlung bei der OG für 1989 ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Die Änderung des der OT zuzurechnenden Einkommens der OG stellt insoweit einen Lebenssachverhalt dar, dem steuerrechtliche Bedeutung für die Besteuerung von Einkommensteilen der OT zukommt. Dieses "Ereignis" i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO entfaltet auch Wirkung für die Vergangenheit, da der OT das Einkommen der OG in dem Kalenderjahr zuzurechnen ist, in dem die OG das Einkommen bezogen hat.
Hinweis
Es ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund des Urteils Einwendungen gegen die Höhe des zuzurechnenden Einkommens der OG nicht zwingend nur im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Körperschaftsteuerbescheid der OT vorgebracht werden können. Wird das der OT zuzurechnende Einkommen der OG geändert, führt dies auch ohne Anfechtung der OT zu einer Änderung des Einkommens der OT gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
Das Urteil führt allerdings in der Praxis nicht nur zu Vorteilen, sondern ermöglicht selbstverständlich den Finanzbehörden korrespondierend auch eine Erfassung des der OT zuzurechnenden Einkommens bei der steuerlichen Veranlagung der OT, wenn - anders als im Streitfall - die Zurechnung zu einer höheren Einkommensbesteuerung bei der OT führt und der Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsfrist einer Erfassung des höheren Einkommens bei der OT dem Grunde nach entgegenstehen würde.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 13.08.2003, 7 K 5147/00