Leitsatz
Ein Pflegekind im Sinne von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist. Zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind muss ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern bereits über einen längeren Zeitraum bestanden haben. Dies ist in den ersten 12 Monaten, nachdem das Kind in den Haushalt aufgenommen worden ist und vorher noch keine familiär-häusliche Verbindung oder familienähnliche Umgänge bestanden haben, nicht gegeben.
Sachverhalt
Die Klägerin beantragte Kindergeld für ein in 1974 geborenes Kind, welches bei ihr in Familienpflege wohne, da es aufgrund einer Behinderung außer Stande sei, sich selbst zu versorgen. Die FK lehnte den Kindergeldantrag ab dem Monat Mai 2020 ab, da nach den vorliegenden Unterlagen das Pflegekind (P) durch eigene verfügbare finanzielle Mittel in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Mit ihrem Einspruch wies die Klägerin darauf hin, dass sich P. an den Kosten des Haushalts beteiligt habe. Die Klägerin hat Klage erhoben und führt zur Begründung aus, dass es sich bei P um einen schwer geistig, körperlich und seelisch behinderten Menschen handele, der in seiner geistigen Entwicklung einem Kind gleichstehe. Aufgrund der Schwere der Behinderung und des geistigen Zustands sei von einem typischen Entwicklungszustand einer noch minderjährigen Person auszugehen.
Entscheidung
Das FG hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Nach Auffassung des FG besteht kein Pflegekindschaftsverhältnis im Sinne des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG zwischen der Klägerin und P, da es an einer über einen längeren Zeitraum bestehenden ideellen Beziehung zu P fehle. Nach Würdigung der festgestellten Umstände sei die ideelle Beziehung zwischen der Klägerin und P. somit (allenfalls) ab der am 22.4.2020 beginnenden Haushaltszugehörigkeit stetig "angewachsen", eine bereits über einen längeren Zeitraum andauernde Bindung habe im Streitzeitraum hingegen nicht bestanden. Dass im weiteren Verlauf ein familienähnliches Band entstanden sei, reiche für eine Kindergeldberechtigung für den Zeitraum Mai 2020 bis April 2021 nicht aus.
Hinweis
Mit diesem Urteil hat das FG auch klargestellt, dass die aufgrund des Beschlusses der Bundesagentur für Arbeit vorgenommenen Übertragung der Entscheidung über den Kindergeldanspruch für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten (hier: Fallgruppe "Kind mit Behinderung") auf eine andere FK (hier: FK zentraler Kindergeldservice) im Laufe eines Klageverfahrens zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel führt. Da die Konzentrationsermächtigung im Ermessen der Bundesagentur für Arbeit liege, komme es für die gerichtliche Überprüfung nicht darauf an, warum die Daten von Kindern mit Behinderung besonders schützenswert sein sollen. Entsprechende Überlegungen betreffen die Ebene der Zweckmäßigkeit und damit den Beurteilungsspielraum der Bundesagentur für Arbeit.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil v. 18.04.2024, 8 K 1319/21 Kg