Prof. Dr. Stefan Müller, Laura Peters
Rz. 54
Da es kein allgemein gültiges System zur Bonitätsmessung gibt, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze von Kreditinstituten und Ratingagenturen eingesetzt werden, ist das Unternehmen gezwungen, die Bonitätsmessung über eine Ratingkennzahl extern und/oder die dabei zu berücksichtigenden Interdependenzen zum Managementsystem intern im Rahmen eines Selbstratings selber zu bestimmen. Dazu können am Markt verfügbare Instrumente eingesetzt werden, wie z. B. Moody´s KMV RiskCalc oder Ratingergebnisse auf Basis interner Ratingmodelle der Banken. Externe Ratings sind aber recht teuer und helfen bei konkreten Kreditverhandlungen nicht immer weiter. Für die eigene Analyse bekommen die Unternehmen hier lediglich das Ergebnis und ggf. noch Hinweise auf einbezogene Kennzahlen und Indikatoren. Die Gewichtung der einzelnen Größen ist häufig aber nicht bekannt und ändert sich überdies oft durch die vorgeschriebene Verifizierung der Modelle ebenso wie die konkreten Schwellenwerte der Kennzahlen, um eine bestimmte Klassifikationsstufe zu erreichen.
Rz. 55
Daher kann das Unternehmen über diesen Weg nur Erfahrungen und Informationen sammeln, die dazu dienen können, das Selbstratingsystem entsprechend zu modifizieren. In dem hier vorgestellten Selbstratingmodell erfolgt die Verknüpfung der einzelnen Ergebnisse zu einem Gesamtergebnis, wobei jedoch Warnsignale berücksichtigt werden sollten.
Rz. 56
Mit der Überprüfung von Warnsignalen sollen Sachverhalte im Unternehmen aufgedeckt werden, die auf eine besondere Insolvenzgefahr hinweisen. Sie haben so gravierende Konsequenzen für die Solvenz des Unternehmens, dass ihr Auftreten die anderen Ratinginformationen in den Hintergrund treten lässt und die bisherige Bewertung überschreibt.
Rz. 57
Kreditinstitute nutzen hierfür unter anderem die Kontodaten des Kreditnehmers, also die Bewegungen auf den Girokonten, und das Verhalten des Kunden hinsichtlich mit der Bank getroffener Absprachen. Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass diese Daten nur dann eine Aussagekraft besitzen, wenn das betrachtete Unternehmen den Hauptteil der Kontobewegungen über diese Bank abwickelt. Daneben haben jedoch auch einige qualitative Faktoren einen so erheblichen Einfluss auf die Risikolage des Unternehmens, dass sie ebenfalls zu einer Abwertung des Ratings führen. Hier sind insbesondere Kontendatenanalyse und Nachfolgeregelungen zu nennen.
Rz. 58
Im Rahmen der Kontodatenanalyse wird das Kontoführungsverhalten auf Anzeichen von Liquiditätskrisen im Unternehmen untersucht. Hierbei fallen insbesondere das Überziehungsverhalten, die Anzahl der Lastschriftrückgaben und der Leistungsstörungen ins Gewicht. Ein Kreditinstitut besitzt die notwendige Software, um eine Auswertung dieser Sachverhalte ohne großen Aufwand vorzunehmen. Im Rahmen des Selbstratings eines Unternehmens sind diese Daten jedoch erst unternehmensintern zu ermitteln, wobei ggf. auf die Daten des Rechnungswesens oder des Controllings zurückgegriffen werden kann. Wird im Unternehmen ein Liquiditätsplan erstellt, hilft dieser bei der Generierung der benötigten Daten, wobei zu beachten ist, dass die tatsächlichen Zahlungsbewegungen vom Liquiditätsplan abweichen können. Hierbei ist jeweils ein Zeitraum von 12 Kalendermonaten zugrunde zu legen. Konkret sind folgende Aspekte zu beachten:
- Kontoüberziehungen sind, solange sie kurzfristig sind, ein normaler Vorgang und helfen, unterschiedliche Zahlungszeitpunkte (z. B. Löhne am Monatsanfang, Verkaufserlöse über den ganzen Monat verteilt) auszugleichen. Problematisch ist jedoch eine Überziehung für einen längeren Zeitraum über den vereinbarten Rahmen hinaus, da so der Eindruck entsteht, die Einnahmen reichen nicht zur Deckung der Ausgaben und der Kontokorrentkredit wird dazu genutzt, dies zu finanzieren.
- Leistungsstörungen liegen vor, wenn Zins- oder Tilgungszahlungen an das Kreditinstitut nicht fristgerecht geleistet werden (können). Unternehmen werden die Abmachungen mit Kreditinstituten nur dann brechen, wenn sie ernste Liquiditätsprobleme haben, sodass eine länger andauernde Leistungsstörung ein Hinweis auf eine drohende Insolvenz darstellt.
- Lastschrift- und Scheckrückgaben sollte ein Unternehmen nach Möglichkeit vermeiden, da sie Lieferanten gegenüber mangelnde Bonität signalisieren und u. U. dazu führen, dass diese ihre Zahlungsbedingungen ändern (z. B. Vorkasse). Treten diese doch auf, ist dies als Indiz für eine Liquiditätskrise im Unternehmen zu werten, insbesondere bei Scheckrückgaben oder Wechselprotesten.
Rz. 59
Neben den quantitativen Daten der Kontoanalyse werden auch qualitative Faktoren zur Abprüfung von Warnsignalen herangezogen. Hier spielen vor allem Vertretungs- und Nachfolgeregelungen eine große Rolle. Die langfristige Unternehmensentwicklung und damit das Risiko des Unternehmens hängen somit auch in entscheidendem Maße von der Nachfolgeregelung ab. Das Problem der Nachfolge stellt sich hauptsächlich in Unternehmen, in denen der Unternehmer/Geschäftsführer die Mehrheit der Untern...