Prof. Dr. Stefan Müller, Laura Peters
Rz. 104
Eine Rückstellung ist eine Schuld, die hinsichtlich Fälligkeit oder Höhe ungewiss ist. Die Verpflichtung des Unternehmens kann rechtlicher oder faktischer Art sein. Während eine rechtliche Verpflichtung aus einem Vertrag (privatrechtliche Grundlage) oder einem Gesetz (öffentlich-rechtliche Grundlage) resultiert, handelt es sich bei einer faktischen Verpflichtung um ein übliches Geschäftsgebaren oder eine geweckte Erwartungshaltung gegenüber Dritten.
Eine Verpflichtung zur Bildung einer Rückstellung besteht immer dann, wenn es sich um eine Verpflichtung gegenüber Dritten handelt, der sich das Unternehmen nicht entziehen kann, und die folgenden Ansatzkriterien kumulativ erfüllt sind:
- Aufgrund eines zurückliegenden Ereignisses hat das Unternehmen eine gegenwärtige rechtliche oder faktische Verpflichtung.
- Es ist wahrscheinlich, dass es bei Erfüllung der Verpflichtung zum Abfluss wirtschaftlicher Ressourcen kommen wird.
- Die Höhe der Verpflichtung ist verlässlich schätzbar.
Rz. 105
Sind die Ansatzvoraussetzungen gem. IAS 37.14 erfüllt, besteht eine Rückstellungspflicht, bei Nichterfüllen hingegen ein Rückstellungsverbot. Die Bildung von Aufwandsrückstellungen, die keine Verpflichtung gegenüber Dritten darstellen, ist damit nach IFRS nicht möglich.
Rz. 106
Eigenständige Regelungen zu Rückstellungsbildungen finden sich für:
- Restrukturierungsmaßnahmen (IAS 37),
- laufende und latente Steuern (IAS 12),
- Umweltschutzrisiken und -bestimmungen (IAS 37),
- Altersversorgungszusagen (IAS 19),
- Leasingverträge (IFRS 16),
- Finanzinstrumente (IFRS 9),
- Langfristaufträge (IFRS 15) und
- Versicherungsverträge (IFRS 17).
Rz. 107
Alle anderen, nicht im Rahmen von Einzelregelungen gesondert normierten Rückstellungen für ungewisse Verpflichtungen sowie Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften sind entsprechend IAS 37 zu bilanzieren.
Rz. 108
Die Bilanzierung der Höhe nach bestimmt sich durch gewissenhafte Schätzungen (best estimate) zur Abdeckung der Verpflichtung. Ein best estimate ergibt sich regelmäßig aus der Höhe des Betrages, den das Unternehmen vernünftigerweise an eine dritte Partei zur Begleichung der Verpflichtung zahlen würde. Wenn es denkbar ist, dass mehrere Beträge zur Auszahlung kommen könnten, soll eine Gewichtung der einzelnen unterschiedlichen Beträge vorgenommen werden. Sofern die anzusetzenden Beträge innerhalb einer gewissen Bandbreite sind und deren Eintrittswahrscheinlichkeit grundsätzlich gleich ist, ist der Mittelwert anzusetzen.
Rz. 109
Findet der Ausgleich der Verpflichtung über mehrere Perioden statt und wird hierdurch ein nicht unwesentlicher Diskontierungseffekt verursacht, ist eine Abzinsung zum Vorsteuerzinssatz, der sich an aktuellen Markt- und Risikoerwartungen orientiert, vorzunehmen.