Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Zusammenfassung
Reihengeschäfte haben in der Vergangenheit an die beteiligten Unternehmer besondere Anforderungen gestellt. Reihengeschäfte mussten nicht nur erkannt werden, es musste dann auch abgeglichen werden, ob die von der Finanzverwaltung, der nationalen Rechtsprechung und der Rechtsprechung des EuGH vertretenen Auffassungen für den individuellen Fall in Einklang zu bringen waren oder ob hier unterschiedliche Lösungsansätze vorlagen. Zumindest die Lösung eines Reihengeschäfts sollte in der Praxis ab 2020 auf eine sicherere Basis gestellt sein.
1 Problematik
Führt ein Unternehmer eine Lieferung aus, muss geprüft werden, ob diese Lieferung steuerbar und (soweit Steuerbarkeit gegeben ist) auch steuerpflichtig ist. Wesentlicher Prüfungspunkt für die Frage der Steuerbarkeit ist der Ort der Lieferung; nur eine im Inland ausgeführte Lieferung kann steuerbar sein. Wenn die Sonderregelungen zur Bestimmung des Orts einer Lieferung einmal außer Acht gelassen werden, ergeben sich für den Ort einer Lieferung nur die beiden grundsätzlichen Möglichkeiten der "bewegten Lieferung" (Beförderungs- oder Versendungslieferung nach § 3 Abs. 6 UStG) oder der "ruhenden Lieferung" (Lieferung ohne zuzurechnende Warenbewegung nach § 3 Abs. 7 UStG). Probleme ergeben sich in der Umsatzsteuer immer dann, wenn es mehrere zu prüfende Liefergeschäfte gibt, diese aber nur durch eine unmittelbare Warenbewegung miteinander verbunden sind.
Lieferungen sind immer nur die Rechtsgeschäfte
Der Begriff der Lieferung i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG beschreibt immer nur das Rechtsgeschäft und darf nicht synonym für die Warenbewegung verwendet werden.
Bei einem Reihengeschäft liegen mehrere Liefergeschäfte (Umsätze) zwischen mindestens 3 beteiligten Personen vor, der Gegenstand der Lieferung wird aber unmittelbar von dem ersten Unternehmer in der Reihe zu dem letzten Abnehmer befördert oder versendet. Wenn es in einer solchen Reihe aber mehrere Lieferungen (= Rechtsgeschäfte), aber nur einen Warentransport gibt, stellt sich die Frage, welche der Lieferungen als Beförderungs- oder Versendungslieferung anzusehen ist und welche Konsequenzen sich für die anderen Lieferungen ergeben.
Durch die sog. "Quick Fixes" sind – erstmalig – in der Europäischen Union zum 1.1.2020 einheitliche Regelungen zu Konsequenzen in einem bestimmten Sachverhalt der innergemeinschaftlichen Reihengeschäfte getroffen worden. In Deutschland wurde dies zum Anlass genommen, neben der Umsetzung der unionsrechtlich vorgeschriebenen Rechtsfolgen die Konsequenzen der Reihengeschäfte umfassender zu regeln. Dabei sind zum 1.1.2020 Präzisierungen für die Zuordnung der Beförderungs- oder Versendungslieferung zu einer der Lieferungen vorgenommen worden. Die Grundlagen für die systematische Lösung von Lieferungen im Reihengeschäft sind aber unverändert geblieben.
- Definition des Reihengeschäfts (unverändert): Mehrere Unternehmer schließen über denselben Gegenstand Liefergeschäfte ab und dieser Gegenstand gelangt bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar von dem ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer.
- Rechtsfolge für die Arten der Lieferungen (unverändert): Die Beförderung- oder die Versendung ist nur einer der Lieferungen (= Rechtsgeschäfte) zuzuordnen. Die andere Lieferung (oder die anderen Lieferungen) sind dann ruhende Lieferungen.
- Rechtsfolgen für die Beförderungs- oder Versendungslieferung (unverändert): Die Beförderungs- oder Versendungslieferung ist immer dort ausgeführt, wo die Warenbewegung tatsächlich beginnt.
- Rechtsfolgen für die ruhenden Lieferungen (unverändert): Eine ruhende Lieferung, die vor der Beförderungs- oder Versendungslieferung kommt, ist (ebenfalls) dort ausgeführt, wo die Warenbewegung tatsächlich beginnt; die ruhende Lieferung, die nach der Beförderungs- oder Versendungslieferung kommt ist dort ausgeführt, wo die Warenbewegung tatsächlich endet.
Präzisiert wurde in der ab dem 1.1.2020 in § 3 Abs. 6a UStG aufgenommenen Norm die Frage der Zuordnung der Beförderungs- oder Versendungslieferung zu einem der Rechtsgeschäfte.
Im Wesentlichen Übernahme der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung
Die Grundsätze über die Zuordnung der Beförderungs- oder Versendungslieferung zu einer der Lieferungen entsprechen – mit kleinen Modifikationen – dem, was die deutsche Finanzverwaltung als Rechtsauffassung vertreten hat.
- Befördert oder versendet der erste Unternehmer in der Reihe den Gegenstand der Lieferung, ist die Beförderungs- oder Versendungslieferung seiner Lieferung zuzurechnen. Der erste Unternehmer führt dann immer eine Lieferung aus, die am Beginn der tatsächlichen Warenbewegung ausgeführt ist. Alle danach folgenden Lieferungen sind ruhende Lieferungen, die dort ausgeführt sind, wo sich der Gegenstand der Lieferung am Ende der Warenbewegung befindet.
- Befördert oder versendet der letzte Abnehmer in der Reihe den Gegenstand der Lieferung, ist die B...