Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Wird der Verkauf eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft durch die Parteien des Kaufvertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage tatsächlich und vollständig rückgängig gemacht, kann dieses Ereignis auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirken.
Normenkette
§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, § 17 Abs. 1 EStG, § 313 BGB
Sachverhalt
Vieles ist schon erzählt. Frau K war an einer aus einer LPG umgewandelten GmbH qualifiziert beteiligt und Geschäftsführerin. Bis auf zwei weitere Gesellschafter wurden alle ehemaligen Genossen nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz bis 1996 ausgezahlt. 1996 wurden Anlagegüter auf eine GbR ausgelagert und zu diesem Zweck Darlehen mit EK 04 verrechnet. K veräußerte wie gesagt 1997 ihre Anteile an die verbliebenen Gesellschafter. Die steuerlichen Folgen sollte die GmbH tragen. Indessen wurden zunächst bei K 1996 die Ausschüttungen steuerlich erfasst.
Während des Einspruchsverfahrens gegen 1996 änderte das FA den Bescheid für 1997 und erfasste dort den um die Ausschüttungen erhöhten Veräußerungsgewinn. Die Vertragsparteien hatten aber zuvor bereits den Vertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage aufgehoben und sich (was möglich war) die Leistungen zurückgewährt.
Entscheidung
Das FG (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.04.2009, 1 K 687/04, Haufe-Index 2191219) würdigte diesen Sachverhalt im Sinn einer Rückabwicklung mit steuerlicher Rückwirkung und verneinte einen Besteuerungstatbestand. Diese Würdigung billigte auch der BFH. Weil im Rahmen einer Änderung der streitgegenständlichen Veranlagung gem. § 173 AO entschieden werden musste, bedurfte es keines Rückgriffs auf § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.
Hinweis
Veräußert jemand 1997 seine Anteile an der GmbH, in die eine frühere LPG umgewandelt wurde, an einen Mitgesellschafter, wird der Veräußerungsgewinn erhöht durch in früheren Jahren ausgeschüttetes EK 04, was den Vertragsparteien nicht bewusst war, und machen sie deshalb 2003 den Verkauf wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage rückgängig, stellt sich die Frage, ob auch das Steuerrecht dieser – zivilrechtlich ganz zweifellos gegebenen – Rückwirkung folgen kann.
1. Wer an einer GmbH in qualifizierter Weise beteiligt ist, muss einen durch einen Anteilsverkauf bewirkten Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 1 EStG versteuern. War nun im Jahr 1996 EK 04 ausgeschüttet worden, erfüllte dieser Vorgang keinen Ersatzrealisierungstatbestand (§ 17 Abs. 4 EStG gilt erst ab 1997). Er erhöhte aber den Veräußerungsgewinn als negative AK, was der BFH im Jahr 1999 entschieden hatte (BFH, Urteil vom 20.04.1999, VIII R 44/96, BFH/NV 1999, 1277).
2. Die steuerlichen Folgen eines Vertrags können Geschäftsgrundlage sein, sodass ein gemeinsamer Irrtum der Vertragsparteien zu ihrem Wegfall führen kann. Zwar gehören die steuerlichen Folgen eines Veräußerungsgeschäfts regelmäßig in die Risikosphäre des Verkäufers. Das ist aber anders, wenn die Vertragsparteien eine bestimmte steuerliche Lastenverteilung zur Vertragsgrundlage gemacht haben. Die Grundsätze zum Wegfall der Geschäftsgrundlage sind nunmehr in § 313 BGB kodifiziert.
3. Wenn die Verkaufsparteien nun wegen ihrer gemeinsamen Fehlvorstellungen über die steuerlichen Folgen den Vertrag rückgängig machen, liegt auch steuerlich ein rückwirkendes Ereignis vor, das zur Folge hat, dass der Tatbestand des § 17 Abs. 1 EStG nicht erfüllt ist. Ein rückwirkendes Ereignis hat die Rechtsprechung bei nachträglichen Änderungen des Kaufpreises angenommen. Liegt der Anknüpfungspunkt für die vertragliche Rückabwicklung im Kaufvertrag selbst (z.B. auch bei Minderung, Wandlung), wirkt sie auch steuerlich zurück und verhindert, dass es zu einer "Veräußerung von Anteilen" kommt. Dies hat der BFH für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage nunmehr erstmals entschieden.
4. Wenn die die Vertragsparteien selbst den Kaufvertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage rückgängig machen und sich ihre Leistungen zurückgewähren, kommt es nicht darauf an, ob einer der Partner mit seinem entsprechenden Begehren vor den ordentlichen Gerichten Erfolg gehabt hätte.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 28.10.2009 – IX R 17/09