Leitsatz
1. Eine positive Kindergeldfestsetzung hat als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung Bindungswirkung für die Zukunft. Sie ist damit zugleich Rechtsgrundlage für die fortlaufende monatliche Zahlung des Kindergelds (Monatsprinzip). Durch die fortlaufende Zahlung wird daher nicht monatlich eine neue Festsetzung vorgenommen.
2. Ist die Kindergeldfestsetzung zunächst rechtmäßig und wird sie nachträglich unrichtig, weil die Anspruchsvoraussetzungen im Nachhinein entfallen sind (Änderung der Verhältnisse), so ist die Festsetzung ab dem Folgemonat der Änderung, also gegebenenfalls auch rückwirkend, aufzuheben (§ 70 Abs. 2 S. 1 EStG).
Normenkette
§ 70 Abs. 2 S. 1 EStG
Sachverhalt
Die im September 1986 geborene Tochter T des Klägers sollte voraussichtlich bis Ende März 2007 das Gymnasium besuchen. Die Familienkasse setzte Kindergeld nach Vollendung des 18. Lebensjahrs für Oktober 2004 bis März 2007 fest. Tatsächlich besuchte T das Gymnasium nur bis Januar 2005.
Im März 2005 bewarb T sich für ein freiwilliges soziales Jahr und absolvierte dafür im April 2005 ein kurzes Praktikum. Die Familienkasse ließ die Zahlungen "weiterlaufen", weil der Kläger angekündigt hatte, T werde voraussichtlich ab Mai 2005 ein freiwilliges soziales Jahr ableisten. Im Juli 2005 erläuterte der Kläger, die T in Aussicht gestellte Stelle müsse bis August 2005 für Zivildienstleistende frei gehalten werden. Noch im Juli 2005 wies die Familienkasse darauf hin, eine Weitergewährung des Kindergelds sei nur möglich, wenn der Kläger nachweise, dass T Arbeits- oder Ausbildungsplatz suchend sei. Nachdem der Kläger dies im September 2005 verneinte, hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab Februar 2005 auf. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das FG gab der Klage für den Monat August 2005 mangels Vorliegens einer Änderungsnorm statt (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.05.2006, 6 K 2809/05, Haufe-Index 1950267). Bereits Anfang Juli 2005 habe festgestanden, dass für T kein Kindergeld mehr beansprucht werden könne. Die Zahlung des Kindergelds für den Monat August 2005 sei somit rechtsgrundlos erfolgt und könne nach § 70 Abs. 3 EStG nur mit Wirkung für die Zukunft und nicht rückwirkend korrigiert werden.
Entscheidung
Die Revision der Familienkasse führte zur Abweisung der Klage auch für den Monat August 2005. Die Familienkasse konnte rückwirkend nach § 70 Abs. 2 EStG ändern, denn die Verhältnisse hatten sich gegenüber der Festsetzung vom Herbst 2004 geändert, da T den Schulbesuch im Januar 2005 abgebrochen hatte und danach keinen der in § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG aufgeführten Tatbestände mehr erfüllte.
Hinweis
1. Weil die §§ 172ff. AO nicht auf Dauer-Verwaltungsakte zugeschnitten sind, können nach § 70 Abs. 1 EStG ergangene Kindergeldbescheide auch nach § 70 Abs. 2 bis 4 EStG geändert werden. Dabei erlaubt § 70 Abs. 2 EStG die Änderung oder Aufhebung der Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der maßgeblichen Verhältnisse, d.h. wenn eine ursprünglich rechtmäßige Festsetzung nachträglich unrichtig wird. § 70 Abs. 3 EStG betrifft dagegen die Fälle, in denen die Familienkasse den ihr bekannten Sachverhalt rechtlich unzutreffend gewürdigt oder ihrer Entscheidung irrtümlich einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat, und erlaubt eine Änderung oder Aufhebung erst ab dem der Bekanntgabe des Änderungsbescheids folgenden Monat.
2. Die antragsgemäße Kindergeldfestsetzung hat als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung Bindungswirkung für die Zukunft und ist Rechtsgrundlage für die fortlaufende monatliche Zahlung des Kindergelds (Monatsprinzip). In der fortlaufenden Zahlung des Kindergelds ist keine sich Monat für Monat wiederholende neue Festsetzung zu sehen.
3. Für die Änderung oder Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG kommt es deshalb auf die Änderung der Verhältnisse seit der "ursprünglichen" Kindergeldfestsetzung an. Wenn die Anspruchsvoraussetzungen danach entfallen, liegt in der Weiterzahlung des Kindergelds in Kenntnis der veränderten Umstände keine neue Festsetzung, die eine Aufhebung nur für künftige Monate nach § 70 Abs. 3 EStG gestattet.
4. Die rückwirkende Aufhebung des Kindergelds nach § 70 Abs. 2 EStG scheitert nicht daran, dass der Kindergeldberechtigte seine Mitwirkungspflichten stets zeitnah erfüllt hat. Die Familienkasse verstößt auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sie das trotz Kenntnis der veränderten Umstände weiter gezahlte Kindergeld zurückfordert.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 03.03.2011 – III R 11/08