rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für volljährige behinderte Kinder. Geltendmachung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs entweder durch Einzelnachweis oder durch Inanspruchnahme des Behinderten-Pauschbetrags. Anrechnung eines für häusliche Hilfe, Pflege und Aufwendungen für erhöhten Wäschebedarf gezahlten Pflegegelds auf den Behinderten-Pauschbetrag
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein behindertes Kind ist erst dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensbedarfs ausreicht. Der gesamte existentielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen.
2. Zum individuellen behinderungsbedingten Mehraufwand, den gesunde Kinder nicht haben, gehören alle mit einer Behinderung unmittelbar und typisch zusammenhängenden außergewöhnlichen Belastungen.
3. Die Pauschalierung des § 33b Abs. 1 und Abs. 3 EStG deckt ab dem Veranlagungszeitraum 2008 nur noch Kosten für die häusliche Hilfe, Pflege- und Heimkosten sowie Aufwendungen für erhöhten Wäschebedarf ab. Sonstige Aufwendungen werden von der Typisierung nicht erfasst und sind durch die Pauschalierungsregelung nicht abgegolten, auch wenn sie mit der Behinderung zusammenhängen (vgl. Sächsisches FG, Urteil v. 27.12.2018, 270/18 (Kg)).
4. Der behinderte Mensch kann grundsätzlich entweder den Pauschbetrag nach § 33b EStG oder an dessen Stelle die konkreten Aufwendungen nach § 33 EStG (unter Abzug der zumutbaren Belastung) geltend machen. Aufwendungen können nach § 33 EStG neben dem Pauschbetrag des § 33b EStG nur dann berücksichtigt werden, wenn sie nicht mit solchen Aufwendungen in Verbindung stehen, für die der Pauschbetrag gewährt wird (im Streitfall: Anrechnung eines für häusliche Hilfe, Pflege und Aufwendungen für erhöhten Wäschebedarf gezahlten Pflegegelds auf den Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b EStG).
Normenkette
EStG 2017 § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, § 33b Abs. 1, 3 S. 3
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt für ihre in ihren Haushalt aufgenommene, am xx.xx.1955 geborene Schwester … Kindergeld für den Zeitraum Dezember 2017 bis Juni 2018, weil … seit ihrer Kindheit behindert ist (GdB von 100, Merkzeichen G und H). Vorliegend streiten die Beteiligten darüber, ob … im Streitzeitraum ein bedarfsübersteigendes Einkommen hat.
Der Antrag der Klägerin auf Kindergeld wurde von der Beklagten mit Bescheid vom … abgelehnt, ihr Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom … zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am … Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.
Zur Begründung trägt sie vor, dass die Beklagte weiteren behindertenbedingten Mehrbedarf von … nicht berücksichtigt habe. Das an … von der AOK Plus Pflegekasse gezahlte Pflegegeld in Höhe von monatlich 545 EUR zahle sie für die Pflegeleistungen an die Klägerin weiter.
Sie beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheids vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … zu verpflichten, der Klägerin Kindergeld in gesetzlicher Höhe für das behinderte Kind … für den Zeitraum Dezember 2017 bis Juli 2018 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält an ihrer in der Einspruchsentscheidung vertretenen Auffassung fest, auch wenn sie nicht erklären kann, auf welcher Grundlage bei den Einnahmen des Kindes Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von monatlich 700 EUR berücksichtigt wurden. Dies entspreche wohl der internen Weisungslage.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die in der Gerichtsakte befindlichen Schriftsätze, die übersandte Kindergeldakte und die beigezogene Akte 4 K 1671/17 (Kg) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung waren.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO – durch den Vorsitzenden als Einzelrichter, da der Senat ihm den Rechtsstreit mit Beschluss vom … zur Entscheidung übertragen hat (§ 6 Abs. 1 FGO).
Die Klage war abzuweisen, da die Klägerin keinen Anspruch auf Kindergeld für den Streitzeitraum besitzt und die ablehnenden Bescheide im Ergebnis rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen (§ 100 Abs. 1 Satz 1, § 101 Satz 1 FGO).
Die Klägerin hat im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld für … gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG, da … finanziell imstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn die Behinderung vor Vollendung – wegen Anwendung alten Rechts – hier des 27. Lebensjahres eingetreten ist, was vorliegend der Fall war, und ferner das Kind wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterh...