Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftliche Vergleichbarkeit mit Gewinnausschüttungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG
Leitsatz (redaktionell)
Eine "wirtschaftliche Vergleichbarkeit mit Gewinnausschüttungen" im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG kann bei Leistungen einer nicht von der Körperschaftsteuer befreiten rechtsfähigen Familienstiftung an Angehörige des Stifters oder deren Abkömmlinge jedenfalls dann angenommen werden, wenn der Leistungsempfänger in einem weiteren Sinne eine gesellschafterähnliche Position bei der Stiftung einnimmt (im Streitfall bejaht).
Normenkette
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 9, § 22 Nr. 1 S. 2a, § 43 Abs. 1 Nr. 7a, § 44 Abs. 1, § 45a Abs. 1 S. 5; KStG § 1 Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei Zahlungen der Klägerin, einer Familienstiftung, an eine Destinatärin im Streitjahr 2002 um Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 9 Einkommensteuergesetz (EStG) handelt und diese kapitalertragsteuerpflichtig sind.
Die Klägerin wurde mit notarieller Urkunde vor 1900 vom Stiftungsgründer X errichtet. Sie ist eine nicht von der Körperschaftsteuer befreite rechtsfähige Familienstiftung des privaten Rechts. Nach Art. 4 des Stiftungsstatuts bildet die Stiftung ein "untheilbares Vermögen, dessen Erträge der leiblichen und geistigen Wohlfahrt der Familie X und der gemeinnützigen Pflege des Guten und Schönen durch dieselbe nach Maßgabe der Bestimmungen des Statuts gewidmet sind." Die Familie X im Sinne des Statuts besteht gemäß Art. 5 des Statuts "aus den ehelichen, männlichen Nachkommen im Mannesstamme des Vaters des Stiftungsgründers und deren ehelichen Töchtern, sowie aus denjenigen Männern, welche gemäß dem Inhalt des Statuts (Art. 30) Mitglieder der Familie geworden sind, und den ehelichen Nachkommen im Mannesstamme sowie den ehelichen Töchtern derselben". Gemäß Art. 7 des Stiftungsstatuts wird "das Einkommen der Stiftung bestehen aus den Miethen, aus den Zinsen, aus den Dividenden und den anderweitigen Erträgen in Art. 6 aufgezählter Vermögenstitel, insbesondere aus Grundbesitz, sowie aus den Zinsen und Revenüen der angesammelten Kapitalien, Besitzungen, anderweitigen Erwerbungen und Zuwendungen bestehen." In Art. 8 des Statuts ist in den Abs. 1-5 eine bestimmte Verwendung des Einkommens durch den Stiftungsgründer vorgeschrieben (Zahlungen an Ehefrau, gemeinnützige Förderung des Guten und Schönen, jährliche Zahlungen für den Ort A und Umgebung, Fortsetzung bisheriger Unterstützungen an Vereine und für gemeinnützige Zwecke, Beiträge zu Kosten für Unterricht und Erziehung, Stipendien für Studien und höhere Ausbildung von Familienmitgliedern). In Art. 8 Abs. 6 heißt es sodann:
"Was von dem jährlichen Einkommen der Stiftung nach den Verwendungen, wie vorstehend unter I., II., III., IV. und V. verordnet worden ist, übrig bleibt, das soll zu einem "Sparfond" verwandt werden, aus welchem meine Enkel und Enkelinnen, auch meine Urenkel im Mannesstamme, wenn sie das 30. Jahr erreicht haben, eine Aussteuer bis 100.000,00 M. jeder erhalten soll gemäss der von mir noch zu verordnenden Anweisung (Art. 10)."
Gemäß Art. 9 Satz 1 des Statuts "darf über die weitere Verwendung des jährlichen Einkommens, nachdem alle vorgegebenen Verwendungen erfüllt sind, oder nach rechnungsmässiger Ermittelung das fernerhin dazu Erforderliche völlig sichergestellt ist, die Familienversammlung durch Nachträge zum Statut unter genauer Innehaltung der bezüglichen Vorschriften des Statuts, und nur im Sinne und Geiste desselben, Beschlüsse fasssen".
Organe der Familienstiftung sind die Familienversammlung, die Revisoren sowie der Verwaltungsrat (Art. 13 des Statuts). Zur Teilnahme an der Familienversammlung und zur Mitwirkung in derselben sind die Familienmitglieder in der durch Art. 5 des Statuts festgesetzten Begrenzung, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und sich durch Unterschrift verpflichtet haben, die Statuten treu zu halten, berechtigt (Art. 14 des Statuts).
In zwei Versammlungen in den Jahren 1992 und 1993 beschloss die Familienversammlung der Klägerin mit Stimmenmehrheit im Wege eines Nachtrags zum Statut auf Antrag der weiblichen Familienmitglieder, dass den weiblichen Familienmitgliedern im Sinne des Art. 5 des Statuts der Familienstiftung von Dr. X zu Gunsten ihrer Nachkommen eine einmalige Zuwendung zu erteilen sei, durch welche in angemessener Weise die Nachteile ausgeglichen würden, die den weiblichen Familienangehörigen und ihren Nachkommen dadurch entstünden, dass sie keinen Anteil an dem Vermögenszuwachs haben würden, die die Stiftung während der Zugehörigkeit dieser weiblichen Mitglieder erzielt habe. Über die genaue Höhe und die Art der Auskehrung der Zahlung sollte ein von der Familienversammlung benanntes Familienmitglied in Abstimmung u. a. mit dem Verwaltungsrat bestimmen. Mit Beschluss vom 11. April 1994 legte der Verwaltungsrat in Umsetzung dieses Nachtrags fest, dass zu Gunsten der Kinder der weiblichen Familienmitglieder eine Auszahlung von 160.000,00 DM vorzunehmen sei. Diese...