Rz. 36
Ein wichtiges Element der Anwendung des § 27b Abs. 1 UStG ist der mögliche Zeitpunkt der Ausübung des "Betretensrechts" und der Durchführung der Nachschau; der Gesetzeswortlaut spricht hier von den Geschäfts- und Arbeitszeiten. Die in Abschn. 27b.1 UStAE dokumentierte Verwaltungsanweisung konkretisiert dieses Merkmal insoweit, dass das Betreten auch zulässig ist, wenn in dem Unternehmen schon oder noch gearbeitet wird. Gemeint ist damit wohl, dass es z. B. nicht auf die festen Verkaufszeiten in einem Unternehmen ankommt, also auf die Öffnungszeiten, sondern auf die Zeiträume der tatsächlichen Tätigkeit des Unternehmers oder seiner Mitarbeiter in dem Unternehmen. Diese Sichtweise erscheint zutreffend und sie entspricht auch dem Gesetzeszweck, denn die Finanzbehörde soll die tatsächliche Tätigkeit im Unternehmen in Augenschein nehmen können, diese ist aber nicht nur auf die festgelegten Öffnungszeiten beschränkt.
Rz. 37
Fraglich ist aber, was bei solchen Unternehmen gilt, deren "tatsächliche Tätigkeit" zu ungewöhnlichen Tages- oder Wochenzeiten stattfindet, also etwa nachts oder am Wochenende. Unter Fortführung des vorgenannten Gedankens der Tätigkeit während der "Geschäfts- und Arbeitszeiten" können und müssen solche Unternehmen, deren Betrieb z. B. vorwiegend abends oder während der Nachtstunden erfolgt – wie z. B. Bordelle, Diskotheken und Nachtclubs – im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau grundsätzlich auch zu diesen Zeiten aufgesucht werden. Der Finanzbeamte kann deshalb in solchen Unternehmen nicht etwa morgens um 8 Uhr unangekündigt zur Durchführung seiner Umsatzsteuer-Nachschau erscheinen, denn zu diesem Zeitpunkt wird etwa in einem Nachtclub nicht gearbeitet. Im Ergebnis bedarf es hier einer auf den Einzelfall bezogenen ermessensgerechten Würdigung der Umstände des konkreten Falls durch den Prüfer im Vorfeld der Maßnahme. Dabei ist z. B. auch zu beachten, dass sich die Buchhaltung bei Clubs und Gaststätten häufig nicht in diesen Geschäftsräumen befindet (Rz. 39a). Insoweit ist auch zu berücksichtigen, was im konkreten Fall der Gegenstand der Nachschau sein soll, also etwa Unterlagen aus der Buchhaltung oder die Beschaffenheit der Räumlichkeiten.
Rz. 37a
Allerdings ist in Bezug auf solche Unternehmen zu berücksichtigen, dass § 27b UStG durch diese Auslegung u. U. einen umfassenderen Anwendungsbereich haben könnte, als es die Sonderregelung des § 104 StPO für nächtliche Hausdurchsuchungen vorsieht. M. E. sind die Grundsätze dieser Regelung daher auch für die Umsatzsteuer-Nachschau zu berücksichtigen, denn § 104 StPO ist letztlich eine gesetzliche (u. U. verfassungsrechtlich gebotene) Schranke für einen rechtsstaatlich intensiveren Eingriff in die Rechte der Betroffenen. Ein Zutritt zur Nachtzeit ist m. E. demnach nur in den Grenzen des § 104 StPO zulässig. Wenn schon für den wesentlich intensiveren Eingriff in die Rechte der Betroffenen durch eine Durchsuchung solche Beschränkungen bestehen, dann muss dies erst recht für die dem Besteuerungsverfahren zuzurechnende Umsatzsteuer-Nachschau gelten.
Rz. 38
Die Regelung des § 104 StPO (Nächtliche Hausdurchsuchung) hat folgenden Wortlaut:
Zitat
(1) |
Zur Nachtzeit dürfen die Wohnung, die Geschäftsräume und das befriedete Besitztum nur in folgenden Fällen durchsucht werden: 1. bei Verfolgung auf frischer Tat, 2. bei Gefahr im Verzug, 3. wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass während der Durchsuchung auf ein elektronisches Speichermedium zugegriffen werden wird, das als Beweismittel in Betracht kommt, und ohne die Durchsuchung zur Nachtzeit die Auswertung des elektronischen Speichermediums, insbesondere in unverschlüsselter Form, aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre oder 4. zur Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen. |
(2) |
Diese Beschränkung gilt nicht für Räume, die zur Nachtzeit jedermann zugänglich oder die der Polizei als Herbergen oder Versammlungsorte bestrafter Personen, als Niederlagen von Sachen, die mittels Straftaten erlangt sind, oder als Schlupfwinkel des Glücksspiels, des unerlaubten Betäubungsmittel- und Waffenhandels oder der Prostitution bekannt sind. |
(3) |
Die Nachtzeit umfasst den Zeitraum von 21 bis 6 Uhr. |
Rz. 39
Das Betreten (Durchsuchen) von Bordellen oder ähnlichen den gewerblichen Geschlechtsverkehr ermöglichenden Einrichtungen wird in § 104 Abs. 2 StPO ausdrücklich vom Anwendungsbereich des § 104 Abs. 1 StPO ausgenommen, andere Unternehmen, die vornehmlich nachts betrieben werden, wie Diskotheken, Nachtclubs u. Ä., dagegen nicht. Bei diesen lässt sich aber auf das Merkmal der "Zugänglichkeit für jedermann" abstellen. M.E. kann bei solchen Unternehmen generell auf dieses Tatbestandsmerkmal zurückgegriffen werden, somit ist ein Betreten in solchen Fällen auch zur Nachtzeit zulässig. Dabei spielt es bei der Zugänglichkeit für jedermann keine Rolle, ob der Zugang nur gegen Entgelt (Eintritt) gewährt wird. Unbeachtlich ist es auch, wenn der Zugang etwa durch einen "Türsteher" nur bestimmten Gästen eingeräum...