Leitsatz
1. Eine Forschungseinrichtung finanziert sich nicht überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand oder Dritter oder aus der Vermögensverwaltung, wenn die Einnahmen aus Auftrags- oder Ressortforschung mehr als 50 % der gesamten Einnahmen betragen.
2. Ob in diesem Fall die Auftragsforschung in einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu erfassen ist oder die Steuerbefreiung insgesamt verloren geht, ist danach zu beurteilen, ob die Auftragsforschung der eigenen Forschung dient oder als eigenständiger Zweck verfolgt wird.
Normenkette
§ 14, § 52, § 56, § 64, § 65, § 68 Nr. 9 AO, § 3 Nr. 6 GewStG, § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG
Sachverhalt
Der Kläger ist ein 1983 gegründeter und eingetragener Verein, dessen Zweck die Erhaltung und Schaffung preiswerten Wohnraums für Bevölkerungsschichten mit geringem Einkommen und die Förderung von Wissenschaft und Forschung in damit zusammenhängenden Forschungsgebieten ist.
Der Kläger beriet öffentliche und private Organisationen, insbesondere auf den Gebieten der Stadt- und Verkehrsplanung, des sozialen Wohnungsbaus unter ökologischen und wohnungspolitischen Aspekten sowie der gesellschaftlichen Integration städtischer Randgruppen. Seine wissenschaftlichen Mitarbeiter entwickelten dabei Ideen zu bestimmten Forschungsvorhaben. Danach wurden Träger gesucht, die diese Vorhaben fördern sollten. Außerdem erhielt der Kläger konkrete Forschungsaufträge und nahm in geringerem Umfang auch an Ausschreibungen für Forschungsprojekte teil.
Das FA versagte die Anerkennung als gemeinnützig.
Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg (EFG 2005, 1492).
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück:
Dieses habe zu prüfen, ob die "gemeinnützigkeitsschädliche" Auftragsforschung gegen "echte" Gegenleistungen des Auftraggebers für die Gesamttätigkeit des Klägers prägend sei und als Selbstzweck in Erscheinung trete. Nur dann infiziere die zunächst lediglich partielle Schädlichkeit den Gemeinnützigkeitsstatus des Klägers insgesamt.
Hinweis
1. Es ging um ein "heißes Eisen": Die sog. Auftragsforschung und deren Auswirkung auf die Gemeinnützigkeit. Davon betroffen sind namentlich Forschungsinstitute der Universitäten, die zunehmend gehalten sind, sog. Fremdmittel einzuwerben, um ihren wissenschaftlichen eigentlichen Forschungsauftrag erfüllen zu können.
2. Dazu stellt der BFH klar:
- Eine Forschungseinrichtung ist nur dann gemeinnützig, wenn sie der Allgemeinheit dient, woran es bei Aufrags- und Ressortforschung zugunsten eines bestimmten Auftraggebers fehlt. Abgrenzungsmerkmal ist das wechselseitige Leistungsaustauschsverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer.
- Auftragsforschung kann allerdings einen sog. Zweckbetrieb i.S.d. § 68 Nr. 9 AO ermöglichen. Nicht dazu gehören explizit Tätigkeiten, die sich auf die Anwendung gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse beschränken, die Übernahme von Projektträgerschaften sowie wirtschaftliche Tätigkeiten ohne Forschungsbezug. Diese Abgrenzungen gelten auch für die Auftragsforschung, auch dann, wenn diese Forschung Erkenntnisse für die "eigentliche" Forschung liefern kann.
- Die Finanzierungserfordernisse des § 68 Nr. 9 AO verlangen "echte" Zuwendungen der öffentlichen Hand, und zwar solche an den Träger der Forschungseinrichtung. Konkrete und leistungsbezogene Gegenleistungen an diesen Träger oder auch an die "darunter gehängte" unselbstständige Forschungseinrichtung erfüllen dieses Erfordernis nicht.
Auch wenn hiernach ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vorliegt: Die Gemeinnützigkeit geht nur dann verloren, wenn die Auftragsforschung als eigenständiger Zweck einen "Selbstzweckcharakter" annimmt und dadurch die Gesamttätigkeit der Körperschaft "prägt". Ist das nicht der Fall, bleibt die Gemeinnützigkeit im Übrigen – also partiell – erhalten. Damit widerspricht der BFH der entgegenstehenden Verwaltungspraxis.
Die – schwierige – Frage nach jener "Prägung" überantwortet der BFH dem Tatgericht: Maßgebend dafür ist die Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere des Zeit- und Personalaufwands, den Tätigkeitsrisikos.
3. Offen bleibt, ob daneben auch ein allgemeiner Zweckbetrieb gem. § 65 AO gegeben sein kann. Die Finanzverwaltung lehnt das ab, im Ergebnis – wie auch vom BFH angedeutet wird – zu Recht.
Offen bleibt zudem, ob die Finanzierungserfordernisse des § 68 Nr. 9 Satz 1 AO anhand eines Dreijahreszeitraums zu beurteilen sind. Die Finanzverwaltung tut das, der BFH deutet an, dass er dem nach Maßgabe des Regelungstexts nicht folgen würde: Es kommt auf den jeweiligen Veranlagungszeitraum an.
4. Das Ganze betrifft die Freistellung von der KSt (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG) und der GewSt (§ 3 Nr. 6 Satz 1 GewStG), nicht minder aber die Höhe des USt-Satzes (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Sätze 1 und 2 UStG).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 4.4.2007, I R 76/05