Autoren: Jörg Hanken, Daniel Retzer
Der Fremdvergleichsgrundsatz ("Arm's-length-Principle") hat sowohl auf nationaler Ebene wie auch im internationalen Umfeld einen hohen Stellenwert, weil dieser Grundsatz aktuell der einzige gemeinsame Nenner zwischen den Staaten ist, um die Angemessenheit von Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen im steuerlichen Sinne zu überprüfen bzw. zu bestimmen. Im deutschen Steuerrecht wurde der Fremdvergleich als Maßstab für die Verteilung des Konzernergebnisses auf die Konzerngesellschaften (wertschöpfungsadäquate "Einkunftsabgrenzung"/ "Margenallokation") erstmals in den Verwaltungsgrundsätzen von 1983 verankert. Im internationalen Kontext erfolgte die Würdigung des Fremdvergleichsgrundsatzes durch die OECD in Artikel 9 des OECD-Musterabkommens. Nach Auffassung der OECD-Mitgliedstaaten soll der Fremdvergleichsgrundsatz sowohl von multinationalen Konzernen als auch von Finanzverwaltungen weiterhin angewendet werden. Allerdings zeigen aktuelle Vorschläge der OECD zur Besteuerung von digitalen Geschäftsmodellen (Pillar 1), dass man offenbar in diesen Fällen nicht mehr am Fremdvergleichsgrundsatz festhalten will (siehe weiter unten), was historisch gesehen ein absolutes Novum wäre.
Auf Basis des deutschen Steuerrechts soll dieser Fremdvergleichsgrundsatz grundsätzlich für grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen bzw. Transaktionen zwischen sogenannten verbundenen Unternehmen bzw. nahestehenden Personen angewendet werden. Das Merkmal der nahestehenden Personen ist erfüllt, wenn eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung von mindestens 25 % zwischen den Unternehmen besteht.
Aus OECD-Sicht ergeben sich keine konkreten Anforderungen an die Höhe der Beteiligung. Hier wird lediglich eine Beteiligung an der Geschäftsleitung, an der Kontrolle oder am Kapital vorausgesetzt, um als verbundenes Unternehmen ("Associated Enterprises") zu gelten. Ferner sei angemerkt, dass im Gegensatz zu der deutschen Rechtslage viele andere Staaten den Fremdvergleichsgrundsatz und insgesamt die Verrechnungspreisvorschriften (z. B. zur Methodenwahl, zu Sanktionen und Dokumentationsvorschriften) auch für intranationale bzw. innerstaatliche Geschäftsbeziehungen/Transaktionen anwenden.
Anzumerken bleibt in diesem Zusammenhang, dass im Rahmen der Umsetzung von BEPS-Aktionspunkt 1 (Herausforderungen der Besteuerung im Bereich der digitalen Wirtschaft) der Fremdvergleichsgrundsatz grundsätzlich infrage gestellt wird bzw. maßgeblichen Veränderungen unterworfen werden soll. So legte die zuständige Task Force der OECD im März 2018 einen Zwischenbericht vor, der die darin erarbeiteten Vorschläge in 2 Säulen zusammenfasst. Die erste Säule ("Pillar 1") konzentriert sich auf die Verteilung von Besteuerungsrechten und strebt eine Prüfung der Nexus- und Gewinnverteilungsregelungen an. Insbesondere soll die Besteuerung verstärkt an dem Ort stattfinden, an dem sich die Kunden des Unternehmens befinden, da diese von der Staatengemeinschaft als wesentlicher Werttreiber angesehen werden. Das Public consultation document "Secretariat Proposal for a "Unified Approach" under Pillar One", das am 9. Oktober 2019 vom Sekretariat der OECD veröffentlicht wurde, unternimmt den Versuch, die erarbeiteten Vorschläge zu Pillar 1 zusammenzuführen. Das absolut Neuartige (im negativen Sinne) an Pillar 1 ist, dass eine Besteuerung in Staaten erfolgen soll, in denen der Konzern weder Tochtergesellschaften noch Betriebsstätten hat.
Ergänzt werden diese Überlegungen durch die geplante Einführung einer allgemeinen Mindestbesteuerung ("Pillar 2"), dem sog. "GloBE" (Global Anti-base Erosion Proposal), nach welchem der Ansässigkeitsstaat die ausländischen Gewinne mit einer Differenzsteuer belegen und die Steuerbelastung auf einen Mindeststeuersatzes von derzeit 15 % hochschleusen kann, wenn die Besteuerung der Auslandsgewinne nicht ausreichend vorbelastet ist. Ein Konsultationsdokument wurde seitens der OECD hierzu am 8. November 2019 veröffentlicht. Am 31. Januar 2020 hat die OECD zudem ein weiteres Papier veröffentlicht, das einen Überblick über die vorgeschlagene Architektur von Pillar 1 und eine Progress Note zu Pillar 2 enthält. Zudem sieht es ein überarbeitetes Arbeitsprogramm vor, um bis Ende des Jahres 2020 einen Konsens für Pillar 1 zu finden. Für weitere Einzelheiten wird auf Teil B, Kapitel 5.1.9 verwiesen.