rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anspruch auf Erteilung von Auszügen aus dem Steuerkonto im Insolvenzverfahren nach Art. 15 DSGVO
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Herausgabe anfechtungsrelevanter Daten kann in Insolvenzfällen durch die Finanzbehörden unter Berufung auf § 32c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verweigert werden.
2. Die Vorschrift des § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist durch die Öffnungsklauseln in Art. 23 Abs. 1 Buchst. e DSGVO und Art 23. Abs. 1 Buchst. j DSGVO gedeckt.
3. Die Öffnungsklausel in Art. 23 Abs. 1 Buchst. j DSGVO ist nicht nur für Privatrechtssubjekte einschlägig, sondern gilt auch für Behörden. Sie erfasst auch die Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche.
4. § 32c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist nach seinem Sinn und Zweck dahingehend zu verstehen, dass die Formulierung „geltend gemacht” auch „noch geltend zu machende” bzw. „mögliche” Ansprüche umfasst.
5. Der Begriff des „Steuerbereichs” im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Buchst. e DSGVO bedarf keiner einschränkenden Auslegung dahingehend, dass nur das Steuerrechtsverhältnis erfasst wäre.
Normenkette
DSGVO Art. 15, 23 Abs. 1 Buchst. e, j; AO § 32c Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 32i Abs. 2; InsO § 80 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte den auf Art. 15 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO –, ABl. L 119 vom 04.05.2016, 1) gestützten Antrag des Klägers, ihm Steuerkontoauszüge zu seiner Person zu übersenden, zu Recht unter Verweis auf § 32c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) abgelehnt hat, insbesondere ob diese Norm rechtswidrig, da nicht europarechtskonform und somit unbeachtlich ist, insbesondere ob diese Norm des nationalen Gesetzgebers von der Öffnungsklausel Art. 23 Abs. 1 Buchst. j DSGVO gedeckt ist.
Das Amtsgericht A eröffnete mit Beschluss vom 12.11.2019 (Az.: 177 IN 334/19) das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers und bestellte den Prozessbevollmächtigten des Klägers zum Insolvenzverwalter.
Dieser legitimierte sich mit E-Mail vom 26.04.2021 gleichzeitig als anwaltlicher Vertreter des Klägers und beantragte unter Verweis auf Art. 15 DSGVO die Übersendung der Steuerkontoauszügen zur Person des Klägers.
Mit Verfügung vom 01.07.2021 lehnte der Beklagte diesen Antrag unter Verweis auf § 32c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ab, da die Auskunft ausschließlich der Vorbereitung insolvenzrechtlicher Anfechtungsansprüche diene.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner auf § 32i Absatz 2 AO gestützten Klage und macht geltend: Der Kläger habe auf der Grundlage von Art. 15 DSGVO einen Anspruch auf Übersendung der Auszüge zu seinen Steuerkonten, da dies zu seiner Person gespeicherte Daten seien.
Der Ausschlusstatbestand des § 32c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, auf welchen sich der Beklagte in seiner Entscheidung berufe, sei rechtswidrig, da nicht europarechtskonform und somit unbeachtlich.
Diese Norm des nationalen Gesetzgebers sei nicht von der Öffnungsklausel Art. 23 Abs. 1 Buchst. j DSGVO gedeckt. Denn diese gelte nur für Privatrechtssubjekte und nicht für (Finanz)behörden (vgl. BVerwG-Beschluss vom 04.07.2019 7 C 31/17, juris Rz. 17, NVwZ-RR 2019, 1015 = HFR 2019, 919). Zudem berechtige diese Regelung den nationalen Gesetzgeber – unter bestimmten Voraussetzungen – lediglich zum Erlass beschränkender Regelungen zur Sicherstellung der „Durchsetzung” zivilrechtlicher Ansprüche. Der Begriff der „Durchsetzung” wiederum beziehe sich nach herkömmlichem Verständnis auf die Sphäre des Anspruchsinhabers (Gläubigers) und werde in erster Linie als Synonym für die Vollziehung oder Vollstreckung eines dem Grunde nach bereits feststehenden Anspruchs verwendet. Im Bereich des § 32c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gehe es hingegen um die Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche (vermeintlicher Anfechtungsansprüche). Diese Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche lasse sich jedoch nicht unter den Begriff „Durchsetzung” im Sinn der Öffnungsklausel subsumieren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 04.07.2019 7 C 31/17, juris, Rz. 20, NVwZ-RR 2019, 1015 = HFR 2019, 919).
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 01.07.2021 zu verurteilen, dem Kläger die Speicherkontenauszüge aller Steuerarten zu seiner Person zu übersenden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf die Gründe des Ablehnungsbescheides vom 01.07.2021 sowie auf seine Schriftsätze im Klageverfahren.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist zulässig.
1. Nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 32i Abs. 2 Satz 1 AO ist für Klagen der betroffenen Person hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten gegen Finanzbehörden wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DSGVO oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person, zu denen auch der Auskunftsanspruc...