Rz. 53
Für die Beurteilung von Treuhandgeschäften ist aus steuerlicher Sicht grundsätzlich nicht die äußere Rechtsgestaltung, sondern sind die dieser zugrunde liegenden wirtschaftlichen Verhältnisse ausschlaggebend. Dementsprechend weicht die in § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO geregelte wirtschaftliche Betrachtungsweise von der allgemeinen Vorschrift des § 39 Abs. 1 AO ab, nach der Wirtschaftsgüter "dem Eigentümer zuzurechnen" sind, und bestimmt stattdessen:
Zitat
Übt ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, so ist ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen. Bei Treuhandverhältnissen sind die Wirtschaftsgüter dem Treugeber, beim Sicherungseigentum dem Sicherungsgeber und beim Eigenbesitz dem Eigenbesitzer zuzurechnen.
Obwohl der Treuhänder das Treuhandvermögen im Interesse des Treugebers zu verwalten hat und Letzterer dadurch "eine Beschränkung in der Verwaltung des Vermögens und dessen Erträgnissen" erfährt, gilt dieser grundsätzlich dennoch für die Besteuerung "als die maßgebliche Person […], der das Wirtschaftsgut mit allen sich daraus ergebenden steuerrechtlichen Konsequenzen zuzurechnen ist". Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Treuhandverhältnis i. S. v. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO nur dann vorliegt, wenn aufgrund beherrschender Stellung die tatsächliche Verfügungsmacht unabhängig vom rechtlichen Eigentum dem Treugeber verbleibt. Da jedoch die Zurechnungsvorschriften durch Bestimmungen oder den Zweck von Einzelsteuergesetzen eingeschränkt werden können, ist für jede Steuerart zu überprüfen (insbesondere bei Verkehrsteuern), ob die Anwendung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise geboten ist oder nicht.
Rz. 54
Liegt ein Treuhandverhältnis i. S. d. AO vor, sind die zugehörigen Vermögenswerte und Erträge für Zwecke der Besteuerung dem Treugeber zuzuordnen. Diese Sichtweise deckt sich insofern mit der handelsrechtlichen Auslegung der wirtschaftlichen Vermögenszugehörigkeit gem. § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB. Zu Unterschieden kann es insoweit kommen, als es im Steuerrecht unerheblich ist, ob der Treuhänder das Treugut vom Treugeber oder von einem Dritten erworben hat, solange der Treugeber trotzdem wirtschaftlicher Eigentümer ist. Nach strittiger Auffassung im Handelsrecht könnte jedoch der Erwerb von einem Dritten zu einem Verlust des wirtschaftlichen Eigentums führen, was eine Bilanzierung beim Treuhänder zur Folge hätte. Dabei wird zwar die Ansicht vertreten, dass das wirtschaftliche Eigentum nach Handels- und Steuerrecht nicht deckungsgleich sein muss. Zugleich wird aber die Frage nach dem Verhältnis zwischen der materiellen Maßgeblichkeit gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG und den Bestimmungen des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO aufgeworfen. Dabei wird der einkommensteuerlichen Vorschrift als lex specialis der Vorrang gegeben. Findet somit die Aktivierung des Treuguts in der Handelsbilanz des Treuhänders und nicht in der des Treugebers statt, muss die Bilanz des Treuhänders für steuerliche Zwecke nicht korrigiert werden. Zum gleichen Ergebnis führt die Überlegung, dass die subjektive Zurechnung zum wirtschaftlichen Eigentümer einen GoB verkörpert, für den § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG einschlägig ist. Der Bewertungsvorbehalt des § 5 Abs. 6 EStG kommt nicht zum Tragen, da § 39 AO keine Gewinnermittlungsvorschrift verkörpert.