Leitsatz
Wird ein Zusammenveranlagungsbescheid während des Klageverfahrens aufgehoben und werden stattdessen Einzelveranlagungsbescheide erlassen, dann werden diese nicht gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung zum Gegenstand des Klageverfahrens.
Normenkette
§ 68 FGO, § 26 EStG
Sachverhalt
Die Kläger, ein Ehepaar, wählten zunächst im Rahmen ihrer ESt-Erklärung für das Streitjahr 2016 die Zusammenveranlagung. Zwischen ihnen und dem FA entstand insbesondere Streit über die steuerliche Behandlung des Arbeitslohns des Klägers, den dieser aus seiner Tätigkeit in Frankreich bezogen hatte. Der Kläger ging abkommensrechtlich von einer Ansässigkeit in Frankreich aufgrund seines dort liegenden Mittelpunkts der Lebensinteressen und einem daraus resultierenden Besteuerungsrecht Frankreichs aus. Das FA folgte dem nicht. Es unterwarf die fraglichen Einkünfte der deutschen Besteuerung und rechnete die gezahlte französische Steuer an. Der gegen den Zusammenveranlagungsbescheid vom 8.8.2019 gerichtete Einspruch der Kläger blieb erfolglos, weshalb beide Ehegatten Klage erhoben.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem FG stellten die Kläger den Antrag, den ESt-Bescheid 2016 vom 8.8.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.8.2019 aufzuheben und die Kläger zu 1. und 2. gemäß § 26 Abs. 2 EStG einzeln zur ESt zu veranlagen.
Daraufhin wurde die Sache nach Beratung vertagt. Den Beteiligten wurde das Sitzungsprotokoll übersandt. Gleichzeitig wurde die Entscheidung des FG, die Sache zu vertagen, den Beteiligten mit Schreiben vom 4.6.2020 erläutert.
Entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Kläger hob das FA mit Verfügung vom 15.7.2020 den angefochtenen ESt-Bescheid 2016 vom 8.8.2019 auf. Gleichzeitig erklärte es den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Einzelveranlagungsbescheide für die Kläger erließ das FA ebenfalls am 15.7.2020.
Die Kläger teilten mit, dass sie den Rechtsstreit nicht in der Hauptsache für erledigt erklären würden. Der Rechtsstreit sei entgegen der Auffassung des FA durch den Erlass der Einzelveranlagungsbescheide vom 15.7.2020 nicht beendet worden. Vielmehr ersetzten die Einzelveranlagungsbescheide den Zusammenveranlagungsbescheid vom 8.8.2019 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13.8.2019. Die Kläger stellen sodann den Antrag, den für den Ehemann ergangenen Einzelveranlagungsbescheid dahin gehend zu ändern, dass unter anderem dessen Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit i.H.v. … EUR steuerfrei gestellt werden.
Das FG wies die Klage ab. Es ging hierbei davon aus, dass die Einzelveranlagungsbescheide nicht i.S.d. § 68 FGO zum Verfahrensgegenstand geworden waren und die Kläger mit der Aufhebung des Zusammenveranlagungsbescheids klaglos gestellt worden sind (FG Köln, Urteil vom 10.9.2020, 5 K 2277/19, Haufe-Index 14277859).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision der Kläger als unbegründet zurückgewiesen. Die Gründe hierfür sind den Praxis-Hinweisen zu entnehmen.
Hinweis
1. Mit der Besprechungsentscheidung nimmt der BFH zu einer praktisch wichtigen verfahrensrechtlichen Konstellation Stellung: Was geschieht, wenn während des finanzgerichtlichen Klageverfahrens das Ehegatten-Veranlagungswahlrecht neu ausgeübt wird?
2. Im Streitfall klagten zwei zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute gegen "ihren" Zusammenveranlagungsbescheid. Vor dem FG beantragten sie, diesen Bescheid aufzuheben und sie einzeln zur ESt zu veranlagen. Das FA kam dem nach. Es hob den Zusammenveranlagungsbescheid auf, erließ zwei Einzelveranlagungsbescheide und erklärte auf Hinweis des FG den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Kläger meinten indes, dass die beiden Einzelveranlagungsbescheide gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden seien und das Klageverfahren "fortzuführen" sei.
3. Mit dieser Einschätzung lagen die Kläger indes falsch, wie der BFH nunmehr entschieden hat.
a) § 68 FGO setzt voraus, dass der klagegegenständliche Bescheid während des Klageverfahrens "geändert oder ersetzt" wird. Die Verfahren der Zusammenveranlagung und der Einzelveranlagung sind allerdings wesensverschieden. Mit dem Erlass von Einzelveranlagungsbescheiden nach Neuausübung des Veranlagungswahlrechts wird der bisherige Zusammenveranlagungsbescheid nicht geändert und auch nicht nur ersetzt, vielmehr beginnt etwas "Neues". Mit der (neuen) Wahl beginnt ein (neues) Veranlagungsverfahren, es wird nicht das (alte) Verfahren fortgeführt. Deshalb hatte der BFH bereits in den 70er-Jahren entschieden, dass ein Klageverfahren gegen einen Einzelveranlagungsbescheid nicht in ein Verfahren gegen den Zusammenveranlagungsbescheid übergeleitet werden kann, was im umgekehrten Fall genauso gelten muss.
b) Die von den Klägern angeführten prozessökonomischen Gründe, wonach es doch sinnvoll sei, das gegen den Zusammenveranlagungsbescheid eingeleitete Klageverfahren schlicht gegen die Einzelveranlagungsbescheide fortzuführen, hat einen großen Haken, der im Streitfall gut erkennbar wird. Allein die...