Leitsatz

1. Ein isoliertes Verfahren auf Bewilligung von PKH stellt ein Gerichtsverfahren i.S. von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG dar. Dagegen ist eine sich hieran anschließende Anhörungsrüge oder Gegenvorstellung ein Rechtsbehelf, der auf die Fortführung des ursprünglichen Verfahrens gerichtet ist.

2. Zum Zwecke der Typisierung und Rechtsvereinfachung besteht für ein finanzgerichtliches PKH-Verfahren die Vermutung einer noch angemessenen Dauer gemäß § 198 Abs. 1 GVG, sofern das Gericht im Regelfall gut acht Monate nach der Einleitung des Verfahrens mit Maßnahmen zur Entscheidung beginnt und ab diesem Zeitpunkt nicht für nennenswerte Zeiträume inaktiv wird.

3. Erhebt der Antragsteller gegen den PKH-Beschluss Anhörungsrüge oder Gegenvorstellung, liegt bei ebenfalls typisierender Betrachtung insoweit im Regelfall keine unangemessene Verzögerung des noch nicht abgeschlossenen PKH-Verfahrens vor, wenn das Gericht gut sechs Monate nach dem Eingang des Rechtsbehelfs Maßnahmen ergreift, die zu einer Entscheidung führen.

 

Normenkette

§ 198 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2, Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 Nr. 1 Halbsatz 1 GVG, § 133a, § 142 Abs. 1 FGO, § 118 Abs. 1 und 2 ZPO

 

Sachverhalt

Die Klägerin führte diverse Verfahren vor dem FG, um Kindergeld für ihren mit ihr in Bulgarien lebenden Sohn zu erhalten. Den PKH-Antrag vom September 2013 lehnte das FG im Mai 2014 ab.

Hiergegen erhob die Klägerin im Juni 2014 eine Anhörungsrüge bzw. Gegenvorstellung, die das FG im Juli 2016 zurückwies. Ebenfalls im Juli 2016 lehnte das FG einen weiteren PKH-Antrag der Klägerin ab, den diese im September 2014 gestellt hatte. In beiden Verfahren hatte die Klägerin die Verzögerung gerügt. Die Klägerin beantragte, ihr wegen der überlangen Dauer der Verfahren eine Entschädigung von 5.400 EUR zu gewähren.

 

Entscheidung

Die Klage hatte teilweise Erfolg. Der BFH urteilte, dass an die Klägerin wegen der unangemessenen Dauer der beiden PKH-Verfahren eine Entschädigung i.H.v. 3.100 EUR zu zahlen sei.

 

Hinweis

Der für die Entschädigungsklagen wegen überlanger Dauer der finanzgerichtlichen Verfahren deutschlandweit zuständige X. Senat hat in diesem Urteil seine Rechtsprechung in einigen Punkten präzisiert.

1. Zunächst war die Frage zu beantworten, in welchen Fällen überhaupt ein eigenständiges Verfahren gegeben ist, dessen Verzögerung einen Entschädigungsanspruch auslösen kann. Dieses hat der BFH für ein PKH-Verfahren bejaht, da taugliches Ausgangsverfahren gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbsatz 1 GVG auch ein Verfahren zur Bewilligung von Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe ist.

2. Ebenso wie bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren wendet der BFH auch bei Prüfung der unangemessenen Verfahrensdauer bei einem PKH-Verfahren eine typisierende Betrachtungsweise aufgrund einer "3-Phasen-Vermutung" an:

  • 1. Phase: Schriftsatzwechsel
  • 2. Phase: Nichtbearbeitung dieses Verfahrens wegen anderer vorrangiger Verfahren
  • 3. Phase: abschließende Bearbeitung des Verfahrens.

Diese typisierende Betrachtungsweise kommt im Einzelfall jedoch bei abweichendem Vorbringen, z.B. der substanziierten Geltendmachung einer besonderen Eildürftigkeit, nicht zum Tragen.

Für die Dauer eines finanzgerichtlichen Klageverfahrens hat der BFH die Vermutung aufgestellt, dass es noch angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und dieser Verfahrensabschnitt nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt.

Das PKH-Verfahren muss schneller entschieden werden. Die erste Phase – die Antragstellung mit nachfolgendem Schriftwechsel – sollte zwei Monate nicht überschreiten, die zweite Phase, in der das PKH-Verfahren aus Gründen der Priorisierung anderer Verfahren noch nicht gefördert werden kann, sechs Monate. Damit wird für ein finanzgerichtliches PKH-Verfahren eine noch angemessene Dauer vermutet, wenn das Gericht gut acht Monate nach der Einleitung des Verfahrens mit Maßnahmen zur Entscheidung in die dritte Phase eintritt und ab diesem Zeitpunkt nicht für nennenswerte Zeiträume inaktiv wird.

3. Eine Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO oder eine gesetzlich nicht geregelte Gegenvorstellung sind demgegenüber keine selbstständigen Gerichtsverfahren i.S.v. § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbsatz 1 GVG, da sie lediglich auf die Fortsetzung des ursprünglichen Verfahrens gerichtet sind. Ihre Verfahrensdauer ist aber für einen Entschädigungsanspruch von Bedeutung, da sie dazu führen kann, dass das für sich betrachtet zeitlich angemessen bearbeitete Ursprungsverfahren verzögert bzw. eine bereits bestehende Verzögerung des ursprünglichen Verfahrens verstärkt wird.

Bei ebenfalls typisierender Betrachtung dieser Verfahren sieht der BFH deren Dauer grundsätzlich noch als angemessen i.S.v. § 198 Abs. 1 GVG an, wenn das Gericht gut sechs Monate nach dem Eingang der Anhörungsrüge/Gegenvorstellung Maßnahmen ergreift, die zu einer Entscheidung führen. Dabei ist insoweit für die einzureichen...

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