Leitsatz
Art. 23 DBA-Schweiz 1971 i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 21.12.1992 geht als speziellere Vorschrift zur Vermeidung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von abkommensrechtlichen Entlastungen von in Deutschland erhobener Kapitalertragsteuer sowohl § 50d Abs. 1a EStG 1997 a.F. bzw. § 50d Abs. 3 EStG 1997 n.F. als auch § 42 Abs. 1 AO vor.
Normenkette
§ 50d Abs. 1a/Abs. 3 EStG, § 42 AO, Art. 4 Abs. 11, Art. 10 Abs. 2 Buchst. b, Art. 23 Abs. 1 DBA-Schweiz i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 21.12.1992
Sachverhalt
Eine im Oktober 2000 durch einen 1949 errichteten liechtensteinischen Trust gegründete und in der Schweiz ansässige AG I schweizerischen Rechts domizilierte in den Streitjahren 2001 und 2002 in Räumlichkeiten einer Treuhand-AG und hatte zwei Verwaltungsräte, welche parallel für 31 bzw. 15 weitere Gesellschaften tätig waren.
Die AG I hielt 73,8 % der Stammaktien einer in Deutschland ansässigen AG II. Für die von der AG II bezogenen Dividenden beantragte die AG I beim BfF (jetzt BZSt) gem. § 50d Abs. 1 EStG 1997 die teilweise bzw. die vollständige Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuern, und zwar i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Buchst. b DBA-Schweiz i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 21.12.1992 bzw. i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 12.03.2002.
Das BfF lehnte die Anträge ab; bei der Klägerin handle es sich um eine sog. Briefkastenfirma, die nach § 50d Abs. 1a EStG 1997 a.F. bzw. nach § 50d Abs. 3 EStG 1997 keine Abkommensentlastungen nach § 50d Abs. 1 S. 2 EStG 1997 beanspruchen könne.
Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg (Haufe-Index 1718209, EFG 2007, 1088).
Entscheidung
Der BFH hat das bestätigt, weil die seinerzeit einschlägigen Spezialregelungen im DBA-Schweiz keine "Erstattungssperre" enthielten und § 50d Abs. 3 EStG ebenso wie § 42 AO vorgingen.
Hinweis
Es ging einmal mehr (siehe erst soeben das BFH-Urteil vom 29.01.2008, I R 26/06, in diesem Heft S. 296) um die Verhinderung des sog. Treaty shopping, also des Ausnutzens von Abkommens- und EG-Vertragsvorteilen, mittels substanzloser ausländischer Zwischen-Kapitalgesellschaften und hierbei konkret um die Missbrauchsverhinderungsvorschrift des § 50d Abs. a EStG a.F./§ 50d Abs. 3 EStG n. F.
1. Der BFH bestätigt in diesem Urteil dazu sein Verständnis vom Vorrang der speziellen zur allgemeinen Missbrauchsverhinderungsnorm (des § 42 AO). Auch dazu sei auf BFH/PR 2008, 296 verwiesen: Die Missbrauchsverhinderungsregel des § 50d Abs. 3 EStG geht dem allgemeinen abgabenrechtlichen § 42 AO vor.
2. Im Urteilsfall ging es allerdings – und das ist die Besonderheit – nicht nur um das Verhältnis des Speziellen zum Allgemeinen, sondern weitergehend des noch Spezielleren zum Speziellen. Nunmehr steht fest, dass eine noch speziellere Vorschrift (hier nach dem DBA-Schweiz i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 21.12.1992) wiederum gegenüber § 50d Abs. 3 EStG Vorrang genießt.
3.Bedeutsam ist dies nur für einzelne, wenige DBA, beispielsweise die DBA-USA (Art. 28), DBA-Kanada 2001 (Art. 29 Abs. 3), DBA-Kuwait und DBA-VAE (jeweils Art. 23).
Andere DBA enthalten demgegenüber explizit den Vorbehalt für innerstaatliche Missbrauchsklauseln und damit auch für § 50d Abs. 3 EStG, z.B. die DBA-Dänemark (Art. 45 Abs. 2 Buchst. a), DBA-Kanada 2001 (Art. 29 Abs. 6), DBA-Kasachstan (Art. 28 Abs. 1), DBA-Österreich 2000 (Art. 28 Abs. 2), DBA-Schweden (Art. 43 Abs. 2 Buchst a), DBA-Usbekistan (Art. 28 Abs. 1), (besonders spezifiziert und "ausgetüftelt") das neue DBA-USA (Art. 28, sog. Limitation of benefits) und mittlerweile auch das DBA-Schweiz (Art. 23) i.d.F. des Revisionsprotokolls 2002. Die für den Urteilsfall noch einschlägige alte Fassung des Art. 23 DBA-Schweiz, die namentlich den (einseitig gefassten) sog. Missbrauchsbeschluss des Schweizer Bundesrats vom 14.12.1962 umsetzte, ist dadurch aufgehoben worden.
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