Leitsatz
Bei der Lieferung von Strom, den der Vermieter von Wohnraum über eine Photovoltaikanlage selbst erzeugt und an seine Mieter gegen Entgelt abgibt, handelt es sich nicht um eine unselbständige Nebenleistung der umsatzsteuerfreien (langfristigen) Vermietung von Wohnraum, sondern um eine selbständige umsatzsteuerpflichtige Leistung, die zum Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen berechtigt, da kraft Gesetzes für den Mieter die Möglichkeit besteht, den Stromanbieter frei zu wählen, und die Stromlieferung getrennt und nach individuellem Verbrauch abgerechnet wird (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 07.12.2023 ‐ V R 15/21, BStBl II 2024, 503, zum Vorsteuerabzug für die Lieferung einer Heizungsanlage).
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1, § 3g, § 13b Abs. 2 Nr. 5 Buchst. b, Abs. 5 Satz 4, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c, Art. 9, Art. 168 Buchst. a, Art. 169 EGRL112/2006 (= MwStSystRL), § 118 Abs. 2, § 126 Abs. 2, § 135 Abs. 2 FGO, § 42a EnWG
Sachverhalt
Der Kläger vermietet ein Mehrfamilienhaus und ein Doppelhaus jeweils umsatzsteuerfrei (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG).
Auf beiden Objekten wurden im Dezember 2018 jeweils eine Photovoltaikanlage einschließlich eines Batteriespeichers (Photovoltaikanlage) installiert. Für beide Photovoltaikanlagen wurden jeweils zwei Messungen verbaut. Die erste Messung erfasst die Gesamtproduktion des Stroms. Der erzeugte Strom, der direkt über den Batteriespeicher an die Mieter fließt, wird für jeden Mieter gesondert gezählt. Der überschüssige Strom wird, der an den Netzbetreiber geliefert wird, wird ebenfalls separat gezählt. Der gegebenenfalls von den Mietern zusätzlich benötigte Strom (Reststrom) wird im Namen und im Auftrag des Klägers von einem Stromanbieter bezogen mit einem Gewinnaufschlag an die Mieter abgegeben.
Der Kläger hat mit den Mietern – zeitlich und inhaltlich unabhängig von den jeweiligen Mietverträgen – eine "Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag über Stromversorgung" (Zusatzvereinbarung) geschlossen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 der Zusatzvereinbarung kann der Stromlieferungsvertrag mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende gekündigt werden. Außerdem ist in § 2 Abs. 2 Satz 2 der Zusatzvereinbarung geregelt, dass der Mieter für den Fall, dass er nach der Kündigung anderweitig den Strom beziehe, die Kosten der Umbaumaßnahmen der Zähleranlage zu tragen habe. Der Arbeitspreis je Kilowattstunde ist marktüblich.
In seiner USt-Voranmeldung für den Monat Dezember 2018 machte der Kläger, der die Steuer nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG) berechnet, den Vorsteuerabzug geltend.
Das FA ließ die Vorsteuer nicht zum Abzug zu, weil es sich bei der Stromlieferung des Klägers an seine Mieter nach Verwaltungsauffassung um eine unselbstständige Nebenleistung zur steuerfreien Wohnraumvermietung handele. Der Einspruch blieb erfolglos.
Die Vorinstanz (Niedersächsisches FG, Urteil vom 25.2.2021, 11 K 201/19, Haufe-Index 14449518, EFG 2021, 883) gab der Klage statt. Es sah die Stromlieferungen als steuerpflichtige selbstständige Hauptleistung an, weil der Kläger die Lieferungen des Stroms an seine Mieter über individuelle Zähler nach Verbrauch abrechnet, individuelle Zusatzvereinbarungen über die Stromlieferung abgeschlossen wurden und vom Mietvertrag abweichende Kündigungsmöglichkeiten des Stromlieferungsvertrags vorgesehen sind.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück.
Die Beteiligten hatten zuvor übereinstimmend mitgeteilt, dass im Besteuerungszeitraum (Dezember 2018) keine Umsätze angefallen sind, für die der Kläger als Wiederverkäufer von Elektrizität die USt gemäß § 13b Abs. 2 Nr. 5 Buchst. b, Abs. 5 UStG schuldet. Nur vor diesem Hintergrund konnte der BFH von einer (an sich notwendigen) Zurückverweisung absehen.
Hinweis
Sind die Leistungen, die ein Vermieter neben der Vermietungsleistung erbringt, unselbstständige Nebenleistungen oder selbstständige Hauptleistungen? Diese Frage beschäftigt in zahlreichen Facetten die Rechtspraxis seit vielen Jahren.
1. Der EuGH hatte mit den Urteilen Tellmer Property (EuGH, Urteil vom 11.6.2009, C-572/07, EU:C:2009:365, BFH/NV 2009, 1368), Field Fisher Waterhouse (EuGH, Urteil vom 27.9.2012, C-392/11, EU:C:2012:597, Haufe-Index 3335674) und Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie (EuGH, Urteil vom 16.4.2015, C-42/14, EU:C:2015:229, BFH/NV 2015, 941) die unionsweit einheitlichen Grundsätze vorgegeben. Und der BFH hat in einem Urteil (BFH, Urteil vom 11.11.2015, V R 37/14, BFH/NV 2016, 495, BStBl II 2017, 1259, Rz. 19) bereits in einem obiter dictum ausgeführt, dass die den Mietnebenkosten zugrunde liegenden Leistungen wie die Zurverfügungstellung von Wasser, Elektrizität oder Wärme, über deren Verbrauch der Mieter entscheiden kann und die verbrauchsabhängig abgerechnet werden, grundsätzlich als von der Vermietung getrennt anzusehen sind.
2. Mit dem Besprechungsurteil bestätigt der BFH dies tragend für die Lieferung von Elektrizität im Rahmen eines Mieterstrom-Model...