Sachverhalt
Die EU-Kommission hatte gegen Italien Klage wegen Verstoßes insbesondere gegen Art.l 18 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie erhoben. Auslöser der Klage war, dass Italien gegenüber Unternehmern, die für das Jahr 1992 in Folge innergemeinschaftlicher Umsätze mit einem Volumen von mehr als 10 % der gesamten steuerpflichtigen Umsätze einen Vorsteuerüberhang von mehr als 100 Mio. Lira erklärt hatten, die Auszahlung des Vorsteuerguthabens nur in Form der Zuteilung von Staatsanleihen vorsah. Die Anleihen wurden an die betroffenen Unternehmer nur schrittweise von April 1994 bis Dezember 1998 ausgegeben. Die verbrieften Vorsteuerguthaben sollten nach 5 oder 10 Jahren nach der Emission fällig werden.
Entscheidung
Der EuGH ist der Klage der Kommission gefolgt und hat Italien verurteilt. Nach Art. 18 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie darf ein Vorsteuerüberschuss nur auf den nächsten Erklärungszeitraum vorgetragen werden oder nach den von dem Mitgliedstaat festgelegten Einzelheiten erstattet werden. Zwar lässt die Vorschrift einen gewissen Spielraum erkennen, die Erstattungsmodalitäten dürfen aber nicht dazu führen, dass sie den Neutralitätsgrundsatz der Mehrwertsteuer verletzen und den Unternehmer ganz oder zum Teil mit Mehrwertsteuern belasten. Deshalb muss die Erstattung von Vorsteuerguthaben innerhalb einer angemessenen Frist und durch Zahlung flüssiger Mittel oder auf gleichartige Weise erfolgen. Keinesfalls darf dem Unternehmer durch die gewählte Erstattungsmethode ein finanzielles Risiko entstehen. Den Anspruch auf zügige Auszahlung leitet der EuGH aus dem Recht des Unternehmers ab, den Vorsteuerabzug sofort ausüben zu dürfen (vgl. dazu EuGH, Urteil v. 18.12.1997, C-286/94, C-340/95, C-401/95 und C-47/96 (Molenheide u.a.).
Die Entscheidung zeigt erneut, dass der EuGH den Vorsteuerabzug als fundamentalen Grundsatz des Mehrwertsteuersystems ansieht. Dieses Recht darf nicht so eingeschränkt werden, dass der Unternehmer für eine bestimmte Frist mit Mehrwertsteuern belastet bleibt oder die Steuern für ihn Kostenfaktoren darstellen. Von daher könnte die durch das Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze (Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz - StVBG) neu in das Umsatzsteuergesetz aufgenommene Regelung über die Sicherheitsleistung (§ 18 f UStG) problematisch sein. Eine Vorsteuererstattung gegen Sicherheitsleistung, die dem Unternehmer Kosten verursacht (Bankbürgschaften, ca. 0,3 % bis 5 % der Bürgschaftssumme) könnte ein finanzielles Risiko im Sinne des EuGH-Urteils darstellen. Daran ändert auch nichts, dass die Sicherheitsleistung nur im Einvernehmen mit dem Steuerpflichtigen gefordert werden kann. Sieht der Unternehmer keinen anderen Weg, an das Vorsteuerguthaben zu gelangen, wird er zwangsläufig mit der Sicherheitsleistung einverstanden sein. Andererseits folgt, wie der EuGH weiter ausführt, bereits aus dem Wortlaut des Art. 18 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie und insbesondere aus dem Ausdruck "nach den von ihnen festgelegten Einzelheiten", dass die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Einzelheiten der Erstattung des Mehrwertsteuerüberschusses über einen gewissen Spielraum verfügen. Jedenfalls kann nach den Maßstäben des EuGH-Urteils das Institut der Sicherheitsleistung kein Freibrief für die Finanzbehörden sein, die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Vorsteuerguthaben länger als unbedingt erforderlich hinauszuzögern.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 25.10.2001, C-78/00
(Kommission/Italienische Republik)