Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Die Rechtsanwältin ist Unternehmerin nach § 2 Abs. 1 UStG, da sie mit ihrer Tätigkeit selbstständig, nachhaltig und mit Einnahmeerzielungsabsicht tätig ist. Der Rahmen ihres Unternehmens ist die Tätigkeit als Rechtsanwältin. Soweit sie noch eine Eigentumswohnung besitzt, die sie vermietet, gehört auch diese Leistung in den Rahmen ihres einheitlichen Unternehmens, da ein Unternehmer immer nur ein Unternehmen unterhält.
Mit der Rechtsanwaltstätigkeit führt sie regelmäßig im Inland nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbare Leistungen aus, die auch keiner Steuerbefreiung nach § 4 UStG unterliegen. Die mit dieser Tätigkeit zusammenhängenden Eingangsleistungen lassen damit den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG zu, ein Abzugshinderungsgrund nach § 15 Abs. 2 UStG liegt nicht vor.
Vorsteuerabzug nicht vom Leistungsort abhängig
Sollte R auch Leistungen als Rechtsanwältin ausführen, die im Inland nicht steuerbar sind, würde dies keinen Einfluss auf den Vorsteuerabzug haben, soweit diese Leistungen – wenn sie im Inland ausgeführt wären – den Vorsteuerabzug nicht ausschließen würden. § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG würde in einem solchen Fall keinen Ausschlussgrund für den Vorsteuerabzug vorgeben.
Die Betreuungsleistungen nach § 1814 BGB führt R ebenfalls im Rahmen ihres Unternehmens aus. Die Leistungen sind regelmäßig steuerbar nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG. Die Leistungen unterliegen aber der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG und sind auch nicht nach § 9 UStG wahlweise als steuerpflichtige Leistungen zu behandeln. Die steuerfreien Betreuungsleistungen schließen für die damit zusammenhängenden Eingangsleistungen den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG aus. Ein Ausnahmetatbestand nach § 15 Abs. 3 UStG besteht in diesen Fällen nicht.
Eingangsleistungen, die nicht eindeutig den Rechtsanwalts- oder den Betreuungsleistungen zuzuordnen sind, müssen demnach nach § 15 Abs. 4 UStG aufgeteilt werden. Da sich in solchen Fällen kein vom Gesamtumsatzschlüssel abweichender – präziserer – Aufteilungsschlüssel ergeben wird, kann die Vorsteueraufteilung nach dem Gesamtumsatzschlüssel vorgenommen werden.
Vorrangigen Aufteilungsmaßstab im Einzelfall prüfen
Im Einzelfall kann über einen abweichenden Aufteilungsmaßstab nachgedacht werden. Dies ist dann immer von den individuellen Verhältnissen abhängig. Soweit die Betreuungsleistungen regelmäßig ohne Inanspruchnahme der Kanzleiorganisation ausgeführt werden sollten, könnte auch darüber nachgedacht werden, eine Aufteilung für die Bürokosten anhand von Arbeitsstunden in der Kanzlei für die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche zu ermitteln.
Der Gesamtumsatzschlüssel für die Umsätze im Kalenderjahr 2023 ist gemäß den Vorgaben der Finanzverwaltung durch einen Bruch zu ermitteln, bei dem im Zähler die vorsteuerabzugsberechtigenden Umsätze (hier 239.000 EUR) und im Nenner der Gesamtumsatz (hier 280.000 EUR; jeweils netto) zu erfassen sind. Damit ergibt sich im vorliegenden Fall ein Vorsteueraufteilungssatz von (239.000 EUR : 280.000 EUR × 100 =) 85,36 %. Da es zur Anwendung eines Gesamtumsatzschlüssels kommt, ist dieser zugunsten der R auf einen vollen Prozentpunkt aufzurunden. R kann damit aus den Gemeinkosten ihrer Praxis – soweit diese nicht im Einzelfall einem bestimmten Ausgangsumsatz zuzurechnen sind – 86 % der Vorsteuerbeträge im Kalenderjahr 2023 abziehen.
Da der tatsächliche Prozentsatz für das Kalenderjahr 2024 in der laufenden Buchhaltung 2024 noch nicht feststeht, kann R vorläufig in der laufenden Buchhaltung für die laufenden Aufwendungen aufgrund sachgerechter Schätzung – hier anhand der Vorjahreszahlen – jeweils einen Vorsteuerabzug von 86 % vornehmen. In der Jahressteuererklärung für 2024 ist dieser Prozentsatz dann an die tatsächlichen (zutreffenden) Verhältnisse anzupassen. Wenn R im Jahr 2024 tatsächlich bei einem Gesamtumsatz von 295.000 EUR steuerfreie, den Vorsteuerabzug ausschließende Umsätze aus Betreuungsleistungen i. H. v. 52.000 EUR erzielt, ergibt sich ein Vorsteueraufteilungssatz von (243.000 EUR : 295.000 EUR × 100 =) 82,37 %, der auf 83 % aufzurunden ist. In der Jahressteuererklärung 2024 wäre dann der in den Voranmeldungen geltend gemachte Vorsteuerabzug aufgrund der Vorsteueraufteilung um 3 %-Punkte zu verringern.
Besitzt R auch noch eine Eigentumswohnung, die sie an Wohnungsmieter vermietet, gehört diese Tätigkeit zu ihrem einheitlichen Unternehmen. Die Vermietungsleistung ist eine im Inland ausgeführte sonstige Leistung, die im Inland steuerbar nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, aber nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerfrei ist. Eine Option (Verzicht auf die Steuerbefreiung) nach § 9 Abs. 1 UStG scheidet schon deshalb aus, da die Mieter nicht Unternehmer sind, die die Immobilie für ihr Unternehmen anmieten. Die steuerfreie Wohnungsvermietung schließt den Vorsteuerabzug aus. Durch die steuerfreie Wohnungsvermietung erhöht sich Anteil der von der R ausgeführten steuerfreien Ausgangsleistungen ihres Gesamtunternehmens. Fr...