Welche mit der Wertschöpfungskette des Unternehmens verbundenen Auswirkungen, Risiken und Chancen wesentlich sind, ist im Zuge der Wesentlichkeitsanalyse zu ermitteln. Die Bewertung der Wesentlichkeit ist der zentrale Ausgangspunkt für die Nachhaltigkeitsberichterstattung. In der Wesentlichkeitsanalyse sind diejenigen Nachhaltigkeitsaspekte zu betrachten, die in den themenbezogenen ESRS behandelt werden. Im ESRS S2 werden bzgl. der Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette folgende Nachhaltigkeitsaspekte benannt:
- Arbeitsbedingungen (sichere Beschäftigung, Arbeitszeit, angemessene Entlohnung, sozialer Dialog, Vereinigungsfreiheit einschließlich der Existenz von Betriebsräten, Tarifverhandlungen, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, Gesundheitsschutz und Sicherheit)
- Gleichbehandlung und Chancengleichheit für alle (Gleichstellung der Geschlechter und gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Schulungen und Kompetenzentwicklung, Beschäftigung und Inklusion von Menschen mit Behinderungen, Maßnahmen gegen Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz, Vielfalt)
- Sonstige arbeitsbezogene Rechte (Kinderarbeit, Zwangsarbeit, angemessene Unterbringung, Wasser- und Sanitäreinrichtungen, Datenschutz).
Ein Nachhaltigkeitsaspekt ist wesentlich, wenn er im Sinn der o. g. doppelten Wesentlichkeit die Kriterien für die Wesentlichkeit der Auswirkungen oder für die finanzielle Wesentlichkeit oder für beide erfüllt. Relevant sind also
- zum einen die wesentlichen tatsächlichen oder potenziellen, positiven oder negativen Auswirkungen des Unternehmens auf Menschen oder die Umwelt innerhalb kurz-, mittel- oder langfristiger Zeithorizonte, die mit seiner eigenen Geschäftstätigkeit und seiner Wertschöpfungskette zusammenhängen,
- zum anderen sind Nachhaltigkeitsaspekte finanziell wesentlich, wenn sie wesentliche finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen nach sich ziehen (oder solche nach vernünftigem Ermessen zu erwarten sind), d. h. wenn durch sie Risiken oder Chancen entstehen, die innerhalb von kurz-, mittel- oder langfristigen Zeithorizonten einen wesentlichen Einfluss auf die finanzielle Entwicklung des Unternehmens haben (oder dies nach vernünftigem Ermessen zu erwarten ist).
Es geht in der Wesentlichkeitsanalyse also letztlich darum, die wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen der Geschäftstätigkeit (sog. "IRO-Assessment", Impacts, Risks and Opportunities) des Unternehmens zu ermitteln. Insoweit ist die Wesentlichkeitsanalyse thematisch deutlich weiter gefasst als die Risikoanalyse nach LkSG, die lediglich auf Risiken und Verletzungen im Hinblick auf die im LkSG benannten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Verbote fokussiert ist.
Risikoanalyse kann als Ausgangspunkt für die Wesentlichkeitsanalyse dienen
Um ein Verständnis darüber zu entwickeln, welche Risiken für die Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette überhaupt bestehen, bietet sich eine diesbezügliche Risikoanalyse an. LkSG-pflichtige Unternehmen können insoweit auf den Prozessen und Ergebnissen der Risikoanalyse aufbauen, die sie gemäß §§ 5, 9 LkSG durchführen müssen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der sachliche Anwendungsbereich des ESRS S2 darüber hinaus hinausgeht, insb. weil er die gesamte Wertschöpfungskette erfasst und Auswirkungen, Risiken und Chancen zu betrachten sind. Die Risikoanalyse ist daher für Zwecke der CSRD entsprechend auszuweiten. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Unternehmen ein Verständnis für das "Verfahren zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte" i. S. v. ESRS 1.58ff. (Due Diligence) vermitteln muss (wobei die ESRS bzgl. des Ob und Wie der Due Diligence gerade keine Verhaltenspflichten begründen) und die wichtigsten Merkmale seines Risikomanagements und seines internen Kontrollsystems in Bezug auf das Verfahren der Nachhaltigkeitsberichterstattung anzugeben hat.
Nur soweit ein bestimmter Nachhaltigkeitsaspekt im Zuge der Wesentlichkeitsanalyse als wesentlich bewertet wird, erstattet das Unternehmen hierüber gemäß den entsprechenden ESRS – hier also dem ESRS S2 – Bericht. Über nicht wesentliche Nachhaltigkeitsaspekte muss das Unternehmen dementsprechend nicht berichten (vgl. auch ESRS 1 Anlage E). Auch der ESRS S2 ist daher nur anzuwenden, wenn im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse festgestellt wurde, dass die Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette von wesentlichen Auswirkungen betroffen sind und/oder dass wesentliche Risiken und Chancen im Zusammenhang mit ihnen bestehen. Auch insoweit bleibt der Nachhaltigkeitsbericht hinter dem LkSG-Bericht ggf. zurück.