Leitsatz
Ein Gewinn aus dem Wegzugsteuertatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Außensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 07.12.2006 (BGBl I 2006, 2782) ist unmittelbar vor dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland eintritt (entgegen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 26.10.2018, BStBl I 2018, 1104, Tz 1).
Normenkette
§ 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 AStG i.d.F. des SEStEG, § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG i.d.F. des ZollkodexAnpG, § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG, Art. 13 Abs. 2, Art. 22 Abs. 2 Buchst. b, Art. 30 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. ii DBA Spanien
Sachverhalt
Der Kläger war im Streitjahr 2013 Gesellschafter der A-Gesellschaft, die eine Immobilien-Kapitalgesellschaft i.S.v. Art. 13 Abs. 2 DBA Spanien ist, bei der Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen seit dem 1.1.2013 auch im Quellenstaat (Spanien) besteuert werden können.
Das FA hatte im (geänderten) ESt-Bescheid 2013 einen Entstrickungsgewinn als Einkünfte aus Gewerbebetrieb berücksichtigt und hierbei geschätzt, dass in der Beteiligung des Klägers an der A-Gesellschaft zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des revidierten DBA Spanien (1.1.2013) stille Reserven von 96.000 EUR geruht hätten, die nach Maßgabe des Teileinkünfteverfahrens mit 57.600 EUR als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG zu besteuern seien.
Die Klage hatte aus verfahrensrechtlichen Gründen Erfolg (FG Köln, Urteil vom 17.6.2021, 15 K 888/18, Haufe-Index 14789075, EFG 2021, 1876). Das FG verneinte bereits eine Änderungsmöglichkeit des Steuerbescheids nach § 164 Abs. 2 AO.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen. Zwar hatte das FG unzutreffend angenommen, die ESt-Festsetzung für das Streitjahr 2013 habe bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr geändert werden können. Allerdings war die Entscheidung im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 FGO), weil für das Streitjahr keine materielle Rechtsgrundlage bestand, einen Entstrickungsgewinn als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen.
Hinweis
Im Streitfall hätten sich weitergehende Fragen im Zusammenhang mit einem Entstrickungsgewinn nach § 6 AStG stellen können. Allerdings musste der BFH sich zu diesen Fragen nicht äußern, weil ein etwaiger Entstrickungsgewinn nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG nicht im Streitjahr 2013, sondern im vorangegangenen VZ 2012 zu erfassen gewesen wäre.
1. Bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, ist auf Anteile i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht§ 17 EStG auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG), sog. Wegzugsteuer. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG steht der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands der Beendigung der unbeschränkten ESt-Pflicht gleich. Eine solche vorgelagerte Abrechnung der stillen Reserven soll das deutsche Besteuerungsrecht hieran absichern.
2. Der erstmals ab dem VZ 2007 geltende Ersatztatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG soll "alle sonstigen Fälle" erfassen, in denen Deutschland nach einem DBA den Veräußerungsgewinn freistellen oder die ausländische Steuer anrechnen muss. Nach dem Gesetz zur Anpassung der AO an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 22.12.2014 soll das gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG auch für die Fälle gelten, in denen aufgrund der Änderung eines DBA das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Veräußerung der Anteile einer Kapitalgesellschaft erstmals dem Quellenstaat zugewiesen wird (BT-Drucks. 18/3017, 54).
So verhielt es sich im Streitfall. Das am 1.1.2013 in Kraft getretene geänderte DBA Spanien sieht in Art. 13 Abs. 2 vor, dass Gewinne, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus der Veräußerung von Anteilen an einer Gesellschaft oder vergleichbarer Beteiligungen erzielt, deren Aktivvermögen zu mindestens 50 % unmittelbar oder mittelbar aus unbeweglichem Vermögen besteht, das im anderen Vertragsstaat liegt, (nunmehr auch) im anderen Staat besteuert werden können. Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung aufgrund des fortbestehenden Besteuerungsrechts Deutschlands besteht die Pflicht, die gezahlte spanische Steuer auf die deutsche Steuer anzurechnen (Art. 22 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. ii DBA Spanien sowie § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG).
3. Der BFH hat die Frage offengelassen, ob auch passive Entstrickungen dem Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG unterfallen. Die Finanzverwaltung und weite...