Leitsatz
1. Säumniszuschläge sind nicht wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn der Steuerpflichtige seinen vom Finanzamt zurückgewiesenen Einspruch gegen die teilweise Ablehnung von AdV trotz entsprechender Ankündigung nicht begründet.
2. Ob zum Zeitpunkt der AdV-Versagung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids vorgelegen haben, ist im Billigkeitsverfahren nicht zu überprüfen.
Normenkette
§ 227, § 240 Abs. 1 Sätze 1 und 4, § 357 Abs. 3 Satz 3, § 361 AO
Sachverhalt
Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ein e.V., erhielt u.a. Spenden zur Organisation des Kurban (einer islamischen Opfergabe). Nach Durchführung einer Außenprüfung unterwarf der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA) in Steuerbescheiden für die Jahre 2000 bis 2008 u.a. die Einnahmen aus den Kurbanspenden sowie Zinsen aus der Türkei der Besteuerung.
Der Kläger legte gegen die Bescheide jeweils Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Eine Begründung der Einsprüche, die u.a. Ausführungen zu den Kurbanspenden enthielt, erfolgte mit Schreiben vom 25.5.2010.
Mit Bescheid vom 23.7.2010 bewilligte das FA die AdV teilweise. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Außerdem wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom gleichen Tag die Einsprüche als unbegründet zurück.
Gegen die teilweise Ablehnung der AdV legte der Kläger Einspruch ein. In dem Schreiben heißt es weiter: "Zur Begründung unseres Standpunkts beantragen wir Begründungsfrist bis zum 25.9.2010. Die Darlegung der ernstlichen Zweifel und des Umfangs der ernstlichen Zweifel soll im Zusammenhang mit der anstehenden Klagebegründung vorgelegt werden."
Der Einspruch gegen die teilweise Ablehnung der AdV wurde vom FA mit Einspruchsentscheidung vom 15.1.2013 als unbegründet zurückgewiesen, nachdem die angekündigte Begründung nicht vorgelegt worden war. Beim FG stellte der Kläger keinen Antrag auf Gewährung von AdV.
Im Klageverfahren wegen Körperschaftsteuer 2000 bis 2008 (10 K 2696/10, n.v.) verständigten sich die Beteiligten dahingehend, dass u.a. die Einnahmen aus Kurbanspenden und die Einkünfte aus Kapitalvermögen entfielen.
Der Kläger beantragte daraufhin am 28.1.2014, die Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer 2000 bis 2008 zu erlassen. Diesen Antrag lehnte das FA ab; der Einspruch blieb erfolglos.
Die anschließende Klage hatte teilweise Erfolg. Das FG (FG Köln, Urteil vom 24.11.2016, 10 K 3370/14, Haufe-Index 10231896, EFG 2017, 363) verpflichtete das FA, die Säumniszuschläge zu erlassen, soweit sie auf die Einbeziehung der Kurbanspenden entfallen. Die Nichtsteuerbarkeit der Kurbanspenden hätte im AdV- und Einspruchsverfahren erkannt werden müssen.
Im Übrigen wies es die Klage ab (Komplex "Türkeizinsen"). Dort habe das FA gewichtige Anhaltspunkte für eine Zurechnung der Zinsen beim Kläger und für deren Steuerpflicht gehabt. Damit sei die Nichtgewährung von AdV nicht erkennbar fehlerhaft.
Der Kläger habe in Bezug auf die Kurbanspenden auch alles getan, um eine AdV durch das FA zu erlangen. Ein erfolgloser Antrag auf AdV beim FG sei insofern nicht erforderlich.
Gegen das Urteil haben beide Beteiligte Revision eingelegt.
Entscheidung
Der BFH hob auf die Revision des FA die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab sowie die Revision des Klägers als unbegründet zurück. Der Kläger habe im Streitfall gegenüber dem FA nicht alles (Erdenkliche) getan, um AdV zu erlangen, da er seinen Einspruch gegen die Ablehnung der AdV (entgegen der Sollvorschrift des § 357 Abs. 3 AO) nicht begründet habe. Ob ein AdV-Antrag beim FG erforderlich gewesen wäre, wie das FA gemeint hat, ließ der BFH ausdrücklich offen.
Hinweis
1. Nach § 240 Abs. 1 Satz 4 AObleiben verwirkte Säumniszuschläge auch dann bestehen, wenn die Festsetzung einer Steuer später aufgehoben oder geändert wird. Der Grundsatz der Akzessorietät, nach dem Säumniszuschläge als steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) grundsätzlich vom Bestehen der ihnen zugrunde liegenden Steuerschuld abhängig sind, wird durch diese Vorschrift nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 7/4292, 39) durchbrochen (BFH, Urteil vom 20.5.2010, V R 42/08, BFH/NV 2010, 1675, BFH/PR 2010, 447, BStBl II 2010, 955, Rz. 20 f., m.w.N.). Die darin liegende Härte war dem Gesetzgeber bewusst und rechtfertigt daher regelmäßig keinen Erlass der Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit (BFH, Urteil vom 30.3.2006, V R 2/04, BFH/NV 2006, 1381, BStBl II 2006, 612).
2. Allerdings sind Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn die Steuerfestsetzung später aufgehoben wird und der Steuerpflichtige – zumindest gegenüber dem FA – alles (Erdenkliche) getan hat, um die AdV des Steuerbescheids zu erreichen, aber das FA (oder FG) die AdV "obwohl möglich und geboten" abgelehnt hat (vgl. BFH, Urteil vom 29.8.1991, V R 78/86, Haufe-Index 63730, BStBl II 1991, 906; BFH, Urteil vom 24.4.2014, V R 52/13, BFH/NV 2014, 1419, BStBl II 2015, 106, Rz. 12; BFH, Urtei...