Leitsatz
1. Gegen die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestehen auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
2. Erteilt der Kontoinhaber einem Dritten, z.B. seinem Ehepartner, Kontovollmacht und lässt er es ohne Kontrollmaßnahmen zu, dass der Dritte das Konto für die Abwicklung eigener Geldgeschäfte nutzt, finden bei einer Duldungsinanspruchnahme des Kontoinhabers nach § 3 AnfG die Grundsätze für eine Wissenszurechnung nach dem Rechtsgedanken des § 166 BGB entsprechende Anwendung.
Normenkette
§ 191 Abs. 1, § 227, § 233 Satz 1, § 233a, § 238, § 240 AO, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG, § 3, § 11 AnfG, § 166 BGB
Sachverhalt
Die Klägerin ist mit dem Steuerschuldner verheiratet. Aus verschiedenen selbstständigen Tätigkeiten des Steuerschuldners resultierten Steuerschulden, die seit dem Jahr 1999 zu Vollstreckungsmaßnahmen führten.
Die Klägerin führte ihr Gehaltskonto zunächst bei der T-Bank. Im Juni 2010 eröffnete sie ein Girokonto bei der R-Bank und erteilte ca. sechs Monate später dem Steuerschuldner eine Vollmacht über das Konto und beantragte für ihn die Ausgabe einer Bank Card. Später eröffnete die Klägerin erneut ein Konto bei der T-Bank und nutzte dieses nunmehr als ihr Gehaltskonto.
Der Steuerschuldner meldete sein Gewerbe im Oktober 2012 beim Gewerbeamt ab. Im Juli 2013 meldete er sich auf dem Internetportal "www.x-Arbeit.de" an.
Im September 2016 betrugen seine Steuerschulden 42.721 EUR. In dem Betrag waren auch Säumniszuschläge enthalten.
Im Rahmen eines Kontenabrufverfahrens erfuhr das FA, dass der Steuerschuldner Verfügungsberechtigter des Kontos der Klägerin bei der R-Bank ist. Aus den von der R-Bank zur Verfügung gestellten Kontoauszügen ergaben sich umfangreiche Überweisungen mit dem Betreff "Service H", Bareinzahlungen, Zahlungseingänge betreffend Ebay-Geschäfte sowie Handwerkerarbeiten und zahlreiche Sollbuchungen (z.B. Baumärkte, Tankstellen, Einkäufe über Amazon, Kino und Bekleidung, Mobilfunk-Rechnungen, Supermärkte, Kfz-Versicherungen, private Haftpflicht und Unfall-Lebensversicherung für die Klägerin, Energieversorgungsunternehmen).
Das FA forderte die Klägerin durch Duldungsbescheid vom 11.4.2017 zur Zahlung von insgesamt 40.874 EUR auf. Dieser Betrag setzte sich aus LSt, ESt, USt sowie Säumniszuschlägen i.H.v. 11.794 EUR zusammen. Die Steuerschulden waren zwischen dem 4.8.2011 und 20.2.2017 fällig geworden. Die Säumniszuschläge entfielen auf Zeiträume bis zum 28.4.2017. Das FA setzte die Säumniszuschläge insgesamt nur zur Hälfte an und führte zur Begründung an, dass Säumniszuschläge nicht nur eine Zinsfunktion hätten, sondern den Steuerschuldner auch zur rechtmäßigen Zahlung anhalten sollten (Druckmittel). Letzteres entfalle beim Anfechtungsgegner, sodass ein hälftiger Ansatz der Säumniszuschläge gerechtfertigt sei.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG urteilte, der Steuerschuldner habe bei der Anweisung an seine Kunden, auf das Konto der Klägerin zu überweisen, mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht nach § 3 Abs. 1 AnfG gehandelt. Davon habe die Klägerin Kenntnis gehabt, weil ihr die Kenntnis ihres Ehemannes nach § 166 BGB zuzurechnen sei. Denn sie habe jedenfalls bewusst die Augen davor verschlossen, dass der Steuerschuldner ihr Konto seinen Kunden gegenüber angegeben und damit veranlasst habe, dass ihm zustehende Zahlungen auf dieses Konto eingegangen seien. Damit könne offenbleiben, ob sie selbst Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht ihres Ehemannes gehabt habe. Auch die Höhe der Säumniszuschläge sei nicht verfassungswidrig (FG Münster, Urteil vom 19.5.2021, 7 K 2714/18 AO, Haufe-Index 14688720, EFG 2021, 1437).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
Im Streitfall ging es um einen Duldungsbescheid. Da die Erstschuld auch Säumniszuschläge umfasste, hatte der BFH erstmals in einer Hauptsache über die Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen zu entscheiden. Daneben war in diesem Fall einer Kontoleihe zwischen Eheleuten über die Wissenszurechnung nach § 166 BGB zu befinden.
1. Der BFH hat ausgeführt, dass sich die vom BVerfG in seinem Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, BFH/NV 2021, 1455 herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO i.H.v. 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, nicht auf Säumniszuschläge übertragen lassen.
2. Die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 AO verletzt nicht das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG wegen eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot. Der BFH betont, dass sich dem § 240 AO kein konkreter Zinsanteil entnehmen lasse, sondern die Verfassungsmäßigkeit nur insgesamt zu beurteilen sei. Hierzu verweist er insbesondere auf den historischen Gesetzgeber, der sich nicht an den Verzugszinsen des BGB, sondern an den Kreditkosten für Kontoüberziehungen orientiert habe.
3. Soweit die übrigen Anfechtungsvoraussetzungen zu prüfen waren, entsprechen di...